Toronto 27.09. – Rundgang durch Downtown und Gratisbesuch der Art Gallery

Die Geschichte von Toronto beginnt im Jahr 1793, als die Britische Krone den hier siedelnden Mississauga Land im Gebiet des heutigen Toronto abkauften und das Fort York errichten ließ. Später entstand daraus die Stadt Toronto, abgeleitet von “Tarantua”, was übersetzt soviel wie “Ort, an dem Bäume am Wasser stehen” bedeutet – ob das heute noch der Fall ist, werden wir an einem der kommenden Tage beim Rundgang entlang der Waterfront prüfen.

Die touristisch interessanten Teile der mit rund 3 Millionen Einwohnern größten Stadt Kanadas liegen in Downtown, Old Town und an der Waterfront. Für den Start hatten wir uns einen Rundgang durch Downtown ausgesucht: An der Haltestelle Dundas verließen wir die Subway und traten am Dundas Square, dem Schnittpunkt der beiden zentralen Verkehrsachsen Dundas und Yonge Street, ans Tageslicht. Dieses mischt sich mit dem Licht der riesigen Werbetafeln rund um den Platz und erinnert ein wenig an den Times Square in NYC.

Großflächige Werbetafeln wie in New York City – aber bei Weitem nicht so viel los

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Yonge Street steht der riesige Shopping-Tempel Eaton Centre, der bereits im Jahr 1977 eröffnet wurde, aber immer noch hell und modern erscheint, vielleicht auch weil hier gerade im Innern Renovierungsarbeiten stattfinden. Unter der 450m langen Glaskuppel setzt ein Schwarm Gänse des Künstlers Michael Snow gerade zum Landeanflug an:

Kunst im Shopping Centre: Michael Snow – “Flight Stop”

Nach Shoppen stand uns nicht der Sinn, aber für einen Espresso (ausnahmsweise mal bei Starbucks) und einer anschließende Praline von Purdys Chocolatier waren wir mehr als offen. Als wir dann eine Filiale des Schweizer Schokoladenunternehmens Läderach entdeckten, über dessen Eigentümer der Spiegel kurz vorher sehr kritisch berichtet hatte, schauten wir auch dort kurz hinein und konnten den Laden natürlich nicht ohne kleine Kostprobe verlassen.

Vom Eaton Centre Richtung Osten war es nur ein kurzes Stück zum Alten Rathaus aus dem Jahr 1899. Gleich daneben steht das Anfang der 1960er Jahre gebaute Neue Rathaus mit einem eigenwilligen Grundriss in Form zweier Halbmonde, die unterirdisch miteinander verbunden sind.

An einer Ecke des Nathan Phillips Square steht das burgartige Alte Rathaus
Zwei Halbmonde als Grundform für das Neue Rathaus aus den 1960er Jahren

Etwas Originelles, bei dem wir allerdings nicht sicher sind, ob es sich durchsetzen wird, sahen wir an einer Tim Hortons Filiale, einen “Walk Up”-Schalter, bei dem der Gast an einem Fenster klingeln und seine Bestellung dort aufgeben und abholen kann. Worin der Vorteil im Vergleich zur Bestellung im Gebäude liegt, erschließt sich für uns nicht wirklich – ist man vielleicht ein wenig schneller, da im Café auch Bestellungen betätigt werden, die zum Verzehr innerhalb gedacht sind?

Noch in der Erprobungsphase – der Walk Up Schalter von Tim Hortons

Für Kunstinteressierte ist der Besuch der Art Gallery of Ontario (kurz AGO), einem der größten Kunstmuseen Nordamerikas, ein absolutes Muss. Deren Besuch war für heute Abend geplant, dazu später mehr, aber auch von außen beeindruckt das Gebäude, das 2007/2008 von dem aus Toronto stammenden Architekten Frank Gehry umgestaltet wurde. Gleich nebenan steht auf bunten Riesenstelzen der Quader des Sharp Centre for Design, eine Erweiterung der Kunsthochschule OCAD University.

Gilt die Gestaltung der Oberleitungen vor dem Kunstmuseum auch als Kunst?
Das Logo zeigt Elemente der aktuellen Sonderausstellung des Künstlers KAWS
Vor dem Museum besteht das Werk von Brian Jungen – “Couchmonster” (2022) aus Metall, sieht aber aus, als sei es aus alten Leder-Sitzmöbeln zusammengesetzt
Auch eine originelle Idee – einfach mal das Treppenhaus außen an die Fassade anbauen
OCAD University ist Kanadas größte und älteste Universität für Kunst und Design

Bevor wir zur Graffiti Alley – einer schmalen, leider relativ ungepflegten Straße – weitergingen, zog Alex etwas ganz anderes in ihren Bann – der Plattenladen Sonic Boom. Der Check, ob der Bestand an David Bowie Vinyl und CDs ausreichend ist, war obligatorisch – der Laden, der das Herz jedes Musikliebhabers höher schlagen lässt, bestand diese Prüfung mit Bravour.

Eintauchen in eine Musikwelt, bei der man die Tonträger noch anfassen kann

Wirkliche Kunstwerke waren in der Grafitti Alley eher selten zu sehen, das hielt jedoch professionelle Fotografen nicht davon ab, ihre Modelle bei Fotoshootings in der bunten Umgebung passend in Szene zu setzen.

Jede Menge Platz, um sich als Sprayer zu verwirklichen

Zurück zur Haupteinkaufsstraße, der Yonge Street, die im Süden der Stadt am Ufer des Lake Ontario beginnt und 99km weit in den Norden Ontarios führt, und ein Blick in den Entertainment District, wo Ripley’s Aquarium of Canada, der CN Tower als dritthöchster Fernsehturm der Welt und das Rogers Centre, die Heimspielstätte der Baseballmannschaft Toronto Blue Jays, die Besucher unterhalten wollen. Diesen Bereich wollen wir uns an einem der nächsten Tage zusammen mit der Waterfront genauer anschauen.

Der mächtige CN Tower taucht immer wieder im Blickfeld auf

Einen kleinen Abstecher nach Norden und schon steht man vor der auffällig gestalteten, tonnenförmigen Roy Thomson Hall, die Heimat des Toronto Symphonic Orchestra.

Nicht hoch aufragend, aber trotzdem sehr markant, die Roy Thomson Hall
Wie so häufig in den letzten drei Wochen kreuzten immer mal wieder Eichhörnchen unseren Weg

Kurz vor der Union Station erreicht wir schließlich die Hochhaustürme des Financial District. Hier geht der Blick automatisch in die Höhe, um die Glaspaläste der Bankhäuser erfassen zu können, die sich darum zu streiten scheinen, wer den höheren und größeren Turm sein Eigen nennt.

Mittendrin im Financial District ein paar grüne Inseln zur Erholung – auch für die Kühe
Toronto-Dominion Centre – die Türme der Bank gehen auf den Architekten Mies van der Rohe zurück, wobei vier der sechs Türme erst nach seinem Tod gebaut wurden
Die Türme des Royal Bank Plaza sind zur Wärmedämmung mit Echtgold überzogen

Damit wir pünktlich um 18 Uhr an der Art Gallery of Ontraio (AGO) eintreffen konnten, verkürzten wir die Zeit für das Abendessen und nutzten die Möglichkeit wie viele Büroangestellte in ihrer Mittagspause, eine der vielen unterirdischen Food Courts aufzusuchen.

Tickets für den Besuch der AGO, die jeden Mittwoch von 18 bis 21 Uhr kostenlosen Eintritt bietet, hatten wir Montag Vormittag schon online gesichert und sparten so den Eintrittspreis für zwei Erwachsene in Höhe von 60 CAD – wovon wir einen kleinen Teil für zwei Getränke im Museumsbistro nach dem Besuch der Sammlung reinvestierten.

Die Präsentation der verschiedenen Sammlungen war neu für uns: Entgegen unserer Gewohnheit, Werke thematisch und chronologisch präsentiert zu bekommen, bildet hier der Sammlungsstifter das entscheidende Ordnungskriterium. Verschiedene Kunstmäzene haben im Laufe des Jahre ihre Kunstsammlungen dem Museum vermacht – sofern ihre Werke verschiedene Kunstperioden und Epochen umfasste, findet man Kunstwerke einer bestimmten Zeit ebenso wie in der Schenkung eines anderen Sammlers. Zudem war es für uns äußerst ungewöhnlich, zumindest in den Räumen mit den Werken kanadischer Künstler nirgendwo den Titel und das Entstehungsjahr des Bildes zu finden. So war unser Rundgang davon geprägt, den roten Faden durch die Sammlung zu finden – gerade wenn wir dachten, ihn gefunden zu haben, verwirrte uns die Ausstellung im nächsten Raum erneut. Aber wir haben ja die Möglichkeit, die Bilder thematisch zu gruppieren.

Wie in anderen Museen der Ostküste wurden auch in der AGO Werke der Künstlergruppe Group of Seven und Tom Thomson präsentiert, die die Natur Kanadas als Hauptmotiv in Szene setzten:

Um in der AGO ausgestellt zu werden, muss man als kanadischer Künstler nicht zwingend Mitglied der Group of Seven gewesen sein, interessant sind in unseren Augen z.B. auch die Werke von David Milne, dessen Stil man sofort erkennt. Es sieht so aus, als ob der Künstler mit der Zeit immer mehr Farbe weggelassen und die Linien mehr betont hat.

Auch Emily Carr, die auf vielen ihrer Bilder Totempfähle der amerikanischen Uhreinwohner festgehalten hat, erkannt man an ihrem Malstil.

Emily Carr – Gitwangak (1912)

Neben Werken kanadischer Künstler hat die AGO auch Gemälde und Skulpturen europäischer Künstler in ihrem Bestand, nachfolgend eine kleine Auswahl. Interessant, wie sich die Werke von Pablo Picasso über 25 Jahre weiterentwickelt haben.

Pablo Picasso – The Soup (1902 – 1903)
Pablo Picasso – Seated Woman (1926-1927)

Typisch für die Gemälde von Marc Chagall ist die Darstellung des wandernden Juden, hier vor der Stadt Witebsk, in der der Künstler seine Kindheit und Jugend verbrachte.

Marc Chagall – Over Vitebsk (1914)

Es gab auch einen Raum mit Werken von Joseph Beuys, der allerdings – für Jochen nicht wirklich überraschend – weniger Besucher anzog. Es ist schließlich nicht einfach und sehr oft gar nicht möglich, Zugang zu seinen Werken zu finden.

Joseph Beuys – Red rabbit (1969)

Von Claude Monet gab es ebenfalls Werke zu sehen, die sehr realistisch waren und noch nichts mit seinen berühmten Seerosen zu tun haben:

Wem das als Input noch nicht ausreichte, konnte sich die Ausstellung zu Europäischer Christlicher Kunst des Mittelalters anschauen, mit den unglaublich fein gearbeiteten Schnitzereien oder die Reliefs aus Elfenbein mit biblischen Szenen.

Szenen aus der Passion Christi, entstanden um 1350 in Frankreich

Die heute eröffnete Sonderausstellung KAWS:FAMILY war für uns leider nicht zugänglich, der Zutritt ist zunächst ausschließlich Mitgliedern der AGO vorbehalten: Es werden Werke des 1974 geborenen Künstlers Brian Donnelly gezeigt, der sich in den 1990er Jahren unter seinem Synonym KAWS einen Namen machte. Zumindest einen kleinen Eindruck von seinen Werken bekamen auch wir im Bereich der permanenten Ausstellung. Ein Markenzeichen sind die berühmten Figuren mit „Companion”-Gesicht mit durchgekreuzten Augen. Seine traurig, fast tot wirkenden Skulpturen können als Antihelden der eigentlichen Comic-Figuren (wie z.B. Micky Maus oder die Simpsons) betrachtet werden. Neben seinen künstlerischen Werken designte KAWS bereits Turnschuhe für Nike, Plattencover für Kanye West und wirkte bei der Kulisse des Films 101 Dalmatiner mit.

So, haben wir irgendetwas vergessen? Mit Sicherheit, aber das ist nicht weiter tragisch, es gibt so viel zu sehen in der AGO. Wir waren nach über zwei Stunden im Museum froh, zum Abschluss etwas in der museumseigenen Bar zu trinken zu bekommen und die vielen Eindrücke sacken zu lassen.

Auch um 20:30 Uhr war noch ordentlich viel los – im Museum wie auch in der Bar

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