“Die Sehenswürdigkeiten Deutschlands enden nicht bei Dresden, es gibt noch mehr zu entdecken, wenn man weiter Richtung Osten fährt.” Das waren die Worte, die wir heute zum Abschluss der Görlitzer Stadtführung von unserem Guide zu hören bekamen – und was wir nach einem ausgiebigen Gang durch die Alt- und Innenstadt auf alle Fälle bestätigen können.
Ursprünglich hatten wir nach unserem Aufenthalt in Dresden geplant, wieder nach Hause zu fahren. Da die Wetteraussichten aber weiter sommerliches Wetter prognostizierten und wir keine Termine zu Hause hatten, machten wir uns auf den Weg in den tiefsten Osten der Republik nach Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Die Neiße, die bis 1945 durch die Stadt floss, ist heute Grenzfluss zu Polen. Der östlich der Neiße gelegene Teil der Stadt wurde nach 1945 abgetrennt und bildet heute die polnische Stadt Zgorzelec.
Da wir nach einstündiger Fahrt von Dresden um 11:30 Uhr noch nicht in unserem Hotel einchecken konnten, deponierten wir lediglich unsere Koffer und machten uns zum Obermarkt auf, wo um 12 Uhr eine Stadtführung starten sollte. Ein wenig irritierten uns die unterschiedlichen Angebote von Stadtrundgängen: Neben der offiziellen Görlitz-Information werden Führungen auch vom privaten Touristbüro i-vent im Gebäude direkt nebenan angeboten – es scheint genügend Bedarf zu geben, die Stadt geführt zu erkunden. Wir entschieden uns für i-vent, die nicht nur die historische Altstadt im Programm hatten, sondern auch einen Abstecher in die Innenstadt unternahmen, womit unsere Führung begann.
Die Gebäude außerhalb der historischen Stadtmauer in der Innenstadt zeugen von einer zweiten Blütezeit der Stadt mit Häusern aus der Gründerzeit und Bauten im Jugendstil. Ein schönes Beispiel für den Jugendstil stellt das Kaufhaus der Stadt dar, das aktuell jedoch leider noch geschlossen ist. Das 1913 eröffnete Gebäude befand sich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg im Besitz des Karstadt-Konzerns, an den es nach der Wiedervereinigung wieder zurückgegeben wurde. Nach dem Verkauf im Jahr 2005 wurde es unter dem Namen Hertie weiterbetrieben, musste dann aber 2010 schließen. Im Juni 2013 erwarb Winfried Stöcker das Kaufhaus, eine Neueröffnung ist für den Herbst 2017 geplant.
Anfang 2013 nutzte Wes Anderson das leerstehende Warenhaus als Kulisse für seinen Film Grand Budapest Hotel. Görlitz diente schon vielen historischen Filmen als Kulisse, was ihr auch den Namen “Görliwood” eingebracht hat – die Altstadt ist geprägt von vielen unversehrten spätgotischen, Renaissance- und Barockbürgerhäusern, die wir uns nach dem Abstecher zur Innenstadt nun geführt anschauen durften.
Ohne die Wiedervereinigung wären die maroden Bauten der Altstadt 1989 wohl gesprengt worden – mit der Wende kamen jedoch Investoren in die Stadt und die Altstadt konnte mit viel finanziellem Aufwand von staatlicher als auch von privater Seite restauriert werden. Seit 1995 gibt es einen anonymen Spender, der jährlich eine Million DM (bzw. 511.500 Euro) auf das Konto der Stadt fließen lässt – diese “Altstadtmillion” wird von der Altstadtstiftung Görlitz verwaltet und verteilt. Durch eine Edelstahltafel mit der Aufschrift „Gefördert durch die Altstadtstiftung Görlitz“ kann man erkennen, in welche Objekte die “Altstadtmillion” geflossen ist.
2016 jedoch scheint das Märchen zu Ende zu gehen: die anonyme Geldquelle sprudelte mit “nur noch” 340.000 EUR ein letztes Mal. Die Investitionen haben sich unserer Meinung jedoch gelohnt, aber seht selbst:
Die Führung durch die Altstadt endete an der Pfarrkirche St. Peter und Paul mit Blick auf die Neiße, den Grenzfluss zu Polen. Nachdem die Stadt Bautzen – deutlich kleiner als Görlitz – Mitte des 15. Jahrhunderts seine Kirche um ein viertes Schiff erweitert hatte, musste Görlitz dies natürlich übertreffen und baute eine fünfschiffige Kirche. Nicht nur die Größe ist beeindruckend, sondern auch die Innenausstattung, bei der insbesondere die sogenannte “Sonnenorgel” heraussticht: Über den Orgelprospekt sind insgesamt 16 sogenannte “Sonnen” verteilt, bei denen sich um ein Sonnengesicht Orgelpfeifen als “Sonnenstrahlen” gruppieren.
Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Kirche bot uns an, auch die Unterkirche zu besichtigen, in der heute im Winter die Messen abgehalten werden. Dort befindet sich außerdem der Ausgangspunkt für den Fußweg zum Heiligen Grab: Wie bei seinem Jerusalemer Vorbild führen knapp 1000 Schritte entlang des Kreuzwegs bis zum Grab.
Nach so viel Informationen benötigten wir dringend ein wenig Entspannung. Während der Führung wurde uns bereits das Caféhaus Lucullus sowie die dort angebotenen Mohnspezialitäten empfohlen. Im schönen Gartencafé genossen wir eine Mohnpiele und einen Mohnkuchen.
Frisch gestärkt spazierten wir danach über die 2004 wiedereröffnete Altstadtbrücke nach Zgorzelec, der einstigen Oststadt von Görlitz. Dürfen wir nun auf unserer Rubbel-Weltkarte Polen freikratzen?
Zum Abendessen genossen wir die mittalterliche Atmosphäre des Restaurants St. Jonathan und stellten anschließend bei einem Stadtbummel fest, dass Görlitz auch und insbesondere bei Nacht sehenswert ist.
Über Bautzen (Frühstück) und Erfurt (wahrscheinlich letztes Eis des Jahres) geht es morgen zurück nach Hause – schön war’s!
Also ich würde sagen: Im Land gewesen bedeutet auch freirubbeln!