Buchholz/Aller (Lüneburger Heide) 07.09. – Celle – Stadt der Kontraste

Celle wirbt auf seiner Tourismus-Seite mit dem Slogan “Erleben Sie Celle – überraschend. vielfältig.” Kontraste sind Celles Markenzeichen. Ein Teil dieser Kontraste – Fachwerk und bauhaus – bestimmte unseren heutigen Tag, der zum Start anders verlief als geplant. Eigentlich wollten wir an der Stadtführung um 11 Uhr teilnehmen, eine Riesenbaustelle mitten in Celle hinderte uns jedoch daran, pünktlich am Treffpunkt vor dem Schloss zu sein. Die Stadtführung fand damit ohne uns statt, wir versorgten uns derweil in der Tourist-Info mit einem Stadtplan und erkundeten Celle auf eigene Faust.

Wir starteten vor der ehemaligen Residenz des Hauses Braunschweig-Lüneburg, dem Herzogschloss. Wäre nicht Montag – montags haben Schlösser und Museen meistens geschlossen – und gäbe es keine Corona-Einschränkungen (die interessantesten Teile des Schlosses, Schlosskapelle und Schlosstheater, sind aktuell für Besucher geschlossen), hätten wir das Schloss auch von innen angeschaut – so beließen wir es bei einem Blick von außen.

Celler Schloss

Richtung Innenstadt kamen wir am Bomann-Museum vorbei, das nach seinem ersten Museumsdirektor benannt wurde und heute als drittgrößtes Museum in Niedersachsen niedersächsische Kulturgeschichte präsentiert.

Immer wieder montags – geschlossen

Bevor wir die Kalandgasse näher in Augenschein nehmen konnten, mussten wir längere Zeit warten, bis mehrere Gruppen von Stadtführungen ihre Besichtigung abgeschlossen hatten. Die reich geschnitzten Häuser der Kalandbrüderschaft beherbergten in früherer Zeit unter anderem eine Lateinschule – lateinische Inschriften auf den Holzbalken zeugen heute noch davon.

Kalandgasse mit alter Lateinschule
“Feuerwerk für Celle” (Otto Piene)

Die schmale Gasse mündet auf die Stechbahn, dem ehemaligen Turnierplatz der Stadt. Vor der ehemaligen Hofapotheke, in der sich heute das Museumscafé befindet (das montags nicht geöffnet hat), ist ein Hufeisen im Pflaster eingelassen: An dieser Stelle soll 1471 Herzog Otto der Großmütige bei einem Turnier verunglückt sein.

Wer genau hinsieht kann die Jahreszahl 1471 vor dem Hufeisen und den beiden Hufen erkennen

Gleich nebenan reckt die Stadtkirche ihren Turm in die Höhe und lädt Besucher zu einer Besichtigung der barocken Innenausstattung ein (aber nicht montags). Das alte Rathaus vervollständigt das historische Ensemble auf auf dem belebten Platz.

Stechbahn

Nicht nur Hameln hat ein Glocken- und Figurenspiel zu bieten, auch in Celle kann man dieses Schauspiel um 11, 13 und 17 Uhr bewundern. Nicht ganz so aufwendig gestaltet wie in Hameln ziehen hier fünf Celler Persönlichkeiten mit historischer Bedeutung am Betrachter vorbei: Stadtgründer Herzog Otto der Strenge, Reformator Herzog Ernst der Bekenner, Königin Caroline Mathilde von Dänemark, Dichter
Ludwig Hölty und Schriftsteller Hermann Löns.

In Celle ist es jetzt kurz nach 11, 13 oder 17 Uhr

Anschließend war es Zeit für einen kleinen Zwischenstopp, im Kaffeehaus Kiess & Krause am Großen Plan fanden wir einen Platz in der Sonne und stärkten uns für den weiteren Rundgang mit einem Stück Kuchen. Im ersten Obergeschoss des Cafés begegneten wir zum ersten (aber bei Weitem nicht letzten) Mal dem Namen Otto Haesler, einem Architekten und bedeutenden Vertreter der Bewegung Neues Bauen.

Blick am Großen Plan auf das Café Kiess & Krause
Blick aus dem ersten Stock des Café Kiess & Krause auf den Großen Plan

Den süßen Abschluss nach dem Espresso fanden wir in der wunderschön eingerichteten Kaffeerösterei Huths.

Von Whiskey über Kaffee, Tee und Schokolade bis hin zu Champanger und Feinkost – alles, was das Herz begehrt und der Geldbeutel hergibt

Vorbei am Hoppener-Haus von 1532, dem sicherlich prachtvollsten der unzähligen Fachwerkbauten in der Altstadt, starteten wir unseren Rundgang auf den Spuren von Otto Haesler, der von 1906–1933 als freischaffender Architekt in Celle arbeitete.

Hoppener Haus und Sprechende Laternen

Um zum Ausgangspunkt der Tour zu gelangen, querten zunächst den Schlosspark, an dessen Teich sich ein ungewöhnlicher Besucher in der Spätsommersonne wärmte – ein Nutria. Die aus Südamerika stammende (auch als “Biberratte” bekannte) Nagetierart scheint sich in Celle sehr wohl zu fühlen. Das Schicksal anderer Ratten, denen die Abneigung des Menschen entgegen schlägt, teilt sie zumindest nicht: Parkbesucher, die sie entdeckten, zückten sofort ihr Handy und waren begeistert, das Tier beobachten zu können.

Guten Appetit
Hengst Wohlklang, berühmtes Pferd des Landgestüts Celle. Das Denkmal wurde 1985 zum 250. Jubiläum des Gestüts enthüllt

Zurück zu Otto Haesler: Ziel des Neuen Bauens war es, durch Einsatz neuer Werkstoffe und Materialien (Glas, Stahl, Beton und Backstein) sowie durch sachlich-schlichte Innenausstattungen eine völlig neue Form des Bauens zu entwickeln. Im Vordergrund stand die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, der durch viel Sonne, Luft und Licht geprägt ist. In der Zeit der Weimarer Republik entstanden in Celle zahlreiche solcher Bauten unter der Leitung von Otto Haesler. Erstes Objekt war das Direktorenwohnhaus aus dem Jahr 1930, für den Direktor eines nahe gelegenen Gymnasiums gebaut.

Keine Angst, die schiefen Kanten sind dem Weitwinkelobjektiv geschuldet

Einen ganzen Straßenzug aus seiner Feder findet sich in der kleinen Siedlung Italienischer Garten, der ersten farbig gestalteten Wohnsiedlung des Neuen Bauens aus dem Jahr 1925.

Rot und Blau wechseln sich ab
Vierfamilienhaus in Rot

Die Siedlung Georgsgarten wurde 1927 fertiggestellt. Sie besteht aus sechs je 80m langen und 10m tiefen dreigeschossigen Zeilenbauten mit Flachdach. Markantes Merkmal sind die aus dem Bau hervortretenden Treppenhäuser. Vor jedem Wohnblock zur Straße hin stand ursprünglich ein eingeschossiges Gebäude, das Gewerbe- und Gemeinschaftseinrichtungen beherbergte, wie ein Heiz-, Wasch- und Badehaus sowie ein Café, eine Bücherei, einen Friseursalon und Geschäfte.

Siedlung Georgsgarten
Eingeschossige Blockbauten zur Straße hin

Nach einem etwas längeren Marsch erreichten wir dann das wohl beeindruckendste Bauwerk von Otto Haesler, die Siedlung Blumläger Feld. Hier entstanden in den Jahren 1930-1931 rund hundertfünfzig kostengünstig hergestellte Kleinstwohnungen. Die Anlage bestand aus zwei parallelen zweigeschossigen Wohnzeilen mit einer Länge von je 220m sowie einem Verbindungstrakt. So wertvoll diese Wohnungen in der Weimarer Republik waren, so schwierig war es in Folgejahren, sie original zu erhalten und zu vermieten. Daher entschloss man sich im Jahr 2000, die westliche Wohnzeile abzureißen und die östliche Häuserzeile zu verbreitern und aufzustocken, um so auch heute noch attraktiven Wohnraum zu schaffen.

Seit der Modernisierung gibt es im obersten Stockwerk sogar einen Balkon

Die letzten beiden Gebäude auf unserem Rundgang waren die Altstädter Schule und das dazu gehörende Rektorwohnhaus aus dem Jahr 1928. Die Ausschreibung gewann Haesler mit seinem Entwurf unter dem Titel “Gesunder Geist muß in gesundem Körper wohnen”.

Die Schule besteht aus einem westlichen Seitentrakt, in dem nach der Eröffnung die Klassenzimmer der Mädchen untergebracht waren, und einem östlichen Seitentrakt mit Klassenräumen für Jungen. In der Mitte steht ein Hallenbau für sportliche Aktivitäten und Veranstaltungen. Das wegen der vielen Fenster auch als “Glasschule” bezeichnete Gebäude weist mittlerweile einen hohen Sanierungsbedarf auf. Flachdach und Fassade waren für einen gesunden Geist, aber nicht für die Ewigkeit konzipiert.

Kein Wunder, dass die Schule auch den Namen “Glasschule” trägt
Das Rektorwohnhaus mit Freisitz im ersten Obergeschoss

Durch den Französischen Garten, wo sich am Teichufer ebenfalls ein Nutria ungestört putzte, spazierten wir zurück Richtung Innenstadt.

Wasserfontäne im Französischen Garten

Da bis zur Öffnung des Restaurants Taj Mahal um 18 Uhr noch eine Stunde Zeit war, schlenderten wir durch die Altstadt, schauten uns Schaufenster an und lauschten einer Geschichte der Sprechenden Laternen.

Sprechende Laternen – die Stimme der Oma (links) stammt von Lilo Wanders

Pünktlich um sechs nahmen wir auf der Terrasse des indischen Restaurants Platz und ließen uns das wohl verdiente Abendessen schmecken.

Nach dem obligatorischen Espresso und der Kugel Eis vom nahegelegenen Eiscafé Venezia fuhren wir zurück nach Buchholz und sanken relativ müde vom ausgiebigen Stadtrundgang auf die Couch.

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