Utrecht 21.05. – Ein Haus, ein Boot und ein Museum

Die erste Herausforderung, die eigentlich keine war, bestand darin, die öffentlichen Verkehrsmittel in Utrecht zu nutzen. Eine App zeigte uns die beste Verbindung an, im Bus checkten wir mit der Kreditkarte ein und beim Hinausgehen wieder aus, der fällige Betrag wird automatisch von der Kreditkarte abgebucht. Klingt nicht nur einfach, sondern ist es auch. Während wir an der Haltestelle auf den Bus warteten, bestaunten wir die Massen an Menschen, die mit dem Fahrrad an uns vorbei fuhren. Wie auch in anderen Städten der Niederlande hat das Fahrrad deutlichen Vorrang im Vergleich zum Auto.

Unser erstes Ziel lag knapp 6 km vom Hauptbahnhof nach Osten entfernt. Zu Beginn das 20. Jahrhunderts kaufte Truus Schröder, eine 34 jährige Witwe, für sich und ihre drei Kinder ein Grundstück, das damals noch am Stadtrand lag und freien Ausblick ins Grüne hatte. Für den Bau des Hauses engagierte sie den befreundeten Designer Gerrit Rietveld, der zwar bis dahin Möbel, aber keine Häuser entworfen hatte.

Vor 100 Jahren stellte die neue Architektur eine Revolution dar

Das heute vor genau 100 Jahren im Jahr 1924 nach den Prinzipien von De Stijl designte und später als Rietveld-Schröder-Haus bezeichnete Gebäude, besticht auch heute noch durch seine strengen horizontalen Linien und die neben Weiß und Schwarz ausschließliche Verwendung der Primärfarben Gelb, Blau und Rot. Zudem stand Funktionalität und Einfachheit im Mittelpunkt, innovative Lösungen wurden komplett neu geschaffen. Zum Beispiel wurden Schiebewände im Obergeschoss eingebaut, die die Raumtrennung in einzelne Zimmer ermöglichte und man tagsüber wegschieben konnte, so dass ein einziger großer Raum entstand. Abends wurde der Raum dann wieder in drei einzelne Schlafzimmer für die beiden Töchter, den Sohn und Truus Schröder selbst geteilt.
Einziges Manko des Hauses war vielleicht die fehlende Klimaanlage, die bereits 1902 von Willis Carrier in New York erfunden wurde: Durch die großen Fensterscheiben im Obergeschoss wurde es bei Sonnenschein recht warm.

Truus Schröder wohnte von 1925 bis zu ihrem Tod im Jahre 1985 in dem Haus, zunächst mit ihren drei Kindern, Rietveld bekam ein eigenes Atelier, in dem er bis 1932 an neuen Entwürfen arbeitete. Als Gerrit Rietvelds Frau 1958 starb, zog er ebenfalls in das Haus ein und wohnte dort bis zu seinem Lebensende 1964.

Hatten wir gestern einen Großteil der Altstadt zu Fuß erlaufen, gönnten wir uns heute ein Ausflugsboot. Wir erreichten die Anlegestelle pünktlich kurz vor der nächsten Bootstour um 13 Uhr. Auf der einstündigen Fahrt durch die Grachten erfuhren wir viel über die Geschichte der Stadt, die auf eine Geschichte bis zur Römerzeit zurückblickt, und die Sehenswürdigkeiten am Rand der Strecke, unter anderem über die Grachtenkeller und die Reliefs unterhalb der Laternen im Stadtzentrum, die im Rahmen der Sanierung der inneren Kanäle ab 1953 angebracht wurden.

Wir waren nicht alleine auf den Grachten unterwegs
Auch vom Wasser aus ist Utrecht absolut sehenswert
Blick auf das Einkaufszentrum Hoog Catharijne, unter dem man auf der Gracht hindurchfahren kann

Nach so viel Eindrücken darf die Entspannung natürlich nicht zu kurz kommen. Eine Pause gleich gegenüber der Haltestelle der Ausflugsboote mit Blick auf die Gracht und im Anschluss ein sehr gutes Eis am Eiskiosk Venezia und wir hatten wieder genügend Energie, um das Museum Speelklok anzusteuern.

Das Museum befindet sich in der Buurkerk, einer ehemaligen Kirche, die 1975 aufgegeben und zum Museum umgestaltet wurde

Das Museum besitzt eine riesige Sammlung der unterschiedlichsten selbstspielenden Musikinstrumente aus mehreren Jahrhunderten, unter anderem Spieldosen, Standuhren, Drehorgeln und riesengroße Tanzorgeln mit wunderschön verzierten Prospekten.

“Clay Clock” (1738), benannt nach ihrem Erbauer Charles Clay, ist in der Lage, zehn unterschiedliche Melodien zu spielen
Straßenorgel von Foucher-Gasparini (1919)

Im Rahmen einer 45minütigen Führung erklärte uns ein Museumsmitarbeiter die Funktionsweisen der Instrumente und noch viel wichtiger – er versetzte die Instrumente in Aktion. Auch hier war die Bandbreite gewaltig. Von sanft spielenden Uhren für den Hausgebrauch bis zu ordentlich laut aufspielenden Tanzorgeln. Gerade die fahrbaren Orgeln, die von einem Jahrmarkt zum nächsten gezogen werden konnten, sind typisch für die Niederlande und wurden hier in großer Zahl produziert – auch weil der Kraftaufwand für das Ziehen der Orgeln im flachen Holland im Vergleich zu anderen Ländern eher niedrig ist.

Thomas Mortier – Tanzorgel aus Antwerpen (ca. 1927)
Noch eine Orgel aus der Werkstatt von Thomas Mortier aus dem Jahr 1929
Auch das Museum selbst, in einer ehemaligen gotischen Kirche untergebracht, ist durchaus sehenswert

Das Wetter meinte es für ein Abendessen im Freien erneut nicht gut mit uns. Eigentlich wollten wir um 18 Uhr an der Oudegracht im Pfannkuchenhaus De Muntkelder speisen, für diese Uhrzeit sagte die Wettervorhersage allerdings heftige Gewitter voraus. Also zogen wir unser Abendessen auf 17 Uhr vor und konnten tatsächlich an der Gracht sitzend essen. Eine Dreiviertelstunde später mussten wir dann jedoch ins Innere des Lokals fliehen und konnten von dort aus Regen, Blitz und Donner beobachten. Wir nutzten die Zeit für einen Espresso und einen geteilten Pfannkuchen mit Nutella.

Morgen verlassen wir Utrecht und melden uns aus Den Haag, wo wir die kommenden sechs Tage übernachten werden.

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