Buchholz/Aller (Lüneburger Heide) 05.09. – Ich schenk’ Dir ein Schloss

Unsere Unterkunft für die nächsten sieben Tage liegt nur etwa 120 km entfernt in Buchholz (Aller), bis zum geplanten Einchecken um 18 Uhr war also noch genügend Zeit, sich unterwegs etwas anzuschauen.

Die Fahrt hätte vor 200 Jahren einen Grenzübertritt bedeutet. Waren wir bisher in den Fürstentümern Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold und Waldeck-Pyrmont unterwegs, befinden wir uns jetzt im Gebiet des Königreichs Hannover. Prominentestes Mitglied der Welfen, des ältesten noch existierenden Hochadelgeschlechts Europas, und aktuelles Oberhaupt des Hauses Hannover ist Ernst August Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland – der Ehemann von Prinzessin Caroline, auch bekannt als “Prügelprinz”.

Vor zwei Jahrhunderten hieß der König Ernst August I. von Hannover. Sein Nachfolger und letzter König Georg V. von Hannover schenkte im Jahr 1857 seiner Frau Marie zu ihrem 39. Geburtstag einen Berg in der Nähe von Pattensen und versprach, ihr dort eine Sommerresidenz zu errichten – so entstand von 1858 bis 1869 das Schloss Marienburg. Es ist im Übrigen nicht übermittelt, was er ihr zum 40. Geburtstag schenkte.

Von außen auf alle Fälle schon mal ein Hingucker
Auch im Innenhof hat man nicht gerade gekleckert

Viel Spaß hatten die beiden an dem Schloss nicht: Hannover, das an der Seite von Österreich gegen Preußen kämpfte, verlor den Krieg im Jahr 1866, das Königreich Hannover wurde zur preußischen Provinz Hannover und Georg V. floh ins Exil nach Österreich. Seine Frau lebte mit ihrer Tochter 1867 im Schloss, bevor sie ihrem Ehemann ins Exil nach Wien folgte. Das Schloss wurde noch fertig gebaut, die kommenden 80 Jahre lebte aber außer einem Verwalter niemand dort. Heute kümmert sich Ernst Augusts ältester Sohn – Erbprinz Ernst August – um die Besitztümer des Hauses Hannover.

Wir erkundeten Schloss Marienburg ohne Führung auf eigene Faust, zur Erläuterung waren entweder Schautafeln aufgestellt oder Videos auf Großbildmonitoren erklärten multimedial, was zu sehen war.
Die Eingangshalle, die wir als Erstes nach Kauf der Tickets betraten, machte schon mal ordentlich Eindruck.

Blick von unten in die Kuppel der Eingangshalle
Später konnten wir uns die Bemalung des Deckengewölbes noch ein bisschen näher anschauen
Auch der Blick von oben auf den gefliesten Eingangsbereich mit Kacheln von Villeroy & Boch macht Eindruck

Neben den Ausstellungsstücken waren vor allem die Böden und Decken der Räume absolut sehenswert.

Sowohl der Blick in die Zimmer…
… als auch nach oben sind lohnenswert

Prunkvolles Highlight der Inneneinrichtung war die Bibliothek mit dem zentralen Lesepult und den darum gruppierten Bücherschränken.

Was für eine prachtvolle Bibliothek
Ein Blick nach oben mit Bildern von Dichtern und Denkern des Mittelalters
Ebenfalls eine herausragende Persönlichkeit des Mittelalters: Albrecht Dürer

Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass ein Großteil der prächtigen Innenausstattung bei einer Auktion im Jahr 2005 bei Sotheby’s versteigert wurde, die einen Erlös von 44 Mio. € einbrachte. Wie opulent war das Schloss wohl zuvor eingerichtet?

Der Prunk hängt natürlich auch mit der Stellung des Königshauses von Hannover zusammen. Als die britische Königin Anne Stuart im August 1714 starb und keine geeigneten (protestantischen) Nachfahren hinterließ, ging die Thronfolge – durch den Act of Settlement 1701 festgelegt – auf ihre Cousine Sophie von der Pfalz bzw. deren protestantische Nachkommen über. Da Sophie zwei Monate zuvor das Zeitliche gesegnet hatte, wurde ihr ältester Sohn Georg I König von Hannover und gleichzeitig König von Großbritannien in Personalunion – bis im Jahr 1837 Queen Victoria den Thron bestieg und sich die Königshäuser aufteilten.

Wir beendeten unseren Rundgang mit einem Blick in die Schlosskapelle mit einer herrlichen Orgel, die jedoch weder der König noch die Königin je zu hören bekamen – zum Zeitpunkt der Fertigstellung waren sie bereits beide im Exil in Österreich.

Die Plätze am Fuße der Orgel waren bereits für König und Königin reserviert – Platz genommen haben sie hier nie

Im Anschluss fuhren wir nach Hildesheim, um an einer Stadtführung teilzunehmen. Auf dem Weg nach Hamburg waren wir schon öfter an der Stadt vorbeigekommen und hatten die Schilder gesehen, die auf den Welterbetitel der Stadt hindeuteten, bisher aber hatten wir einen Besuch nicht geschafft. Heute war es soweit und unter der fachkundigen Leitung unseres Gästeführers starteten wir um 14 Uhr zu einer Fußmarsch durch die Stadt und einer Reise durch die Zeit.

Start war am historischen Marktplatz, der auf den ersten Blick die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sehr gut überstanden hatte. Bei genauerem Hinsehen stellte sich jedoch heraus, dass die alten Fassaden alles Rekonstruktionen der mittelalterlichen prachtvollen Bauten sind. Hildesheim wurde im März 1945 durch einen Luftangriff stark zerstört und anschließend im Stil der 60er und 70er Jahre wieder aufgebaut. Erst später entschied der Stadtrat mit knapper Mehrheit, historische Fassaden vor die bereits wieder aufgebauten modernen Häuser zu setzen. Hierfür gab es allerdings keinen Welterbetitel.

Rathaus und Start unseres Rundgangs
Knochenhauer-Amtshaus, im eigentlichen Sinne die Zentrale der Metzger
Im Mittelalter scheint Metzger ein sehr lukrativer Beruf gewesen zu sein
Ein Blick auf die reiche Bemalung, die auch die wichtigsten Personen Hildesheims würdigt
Ein imposantes hölzernes Gesamtkunstwerk
links das Tempelhaus mit der Touristinfo, rechts die Sparkasse
Sicherlich eines der schönsten Sparkassenhäuser der Republik
Reiche Schnitzereien zieren die Fassade

Den bekam die Stadt bereits im Jahr 1985 für das einzigartige Ensemble mittelalterlicher Ausstattungskunst verliehen: der Michaeliskirche, eine der schönsten frühromanischen Kirchen in Deutschland, zusammen mit dem Mariendom und dem Domschatz. Diese beiden Welterbestätten verbindet seit einigen Jahren ein “Welterbeband” in Form eines besonderen Pflasters, dem man durch die Stadt folgen kann.

Die Nachkriegsbauten links zeigen, wie die Architektur vor der Zerstörung aussah

An der Michaeliskirche beeindrucken zum einen das Alter – die Kirche wurde 1010-1033 im frühromanischen Stil errichtet – und im Innern die bemalte Holzdecke aus dem 13. Jahrhundert, die den Stammbaum Christi darstellt und glücklicherweise durch frühzeitige Abnahme und sichere Verwahrung vor der Zerstörung im 2. Weltkrieg gerettet werden konnte.

Vor über 1000 Jahren wurde mit dem Bau begonnen
Blick ins Mittelschiff. Neben der Decke ist der Wechsel von runden und eckigen Säulen auffallend
Blick nach oben – 700 Jahre schauen auf den Besucher herab

Von der Michaeliskirche führte der Weg zum Hildesheimer Dom: ursprünglich im 9. Jahrhundert erbaut, in den folgenden Jahrhunderten erweitert und verändert, im Zweiten Weltkrieg stark zerstört und danach wieder originalgetreu aufgebaut.

Hildesheimer Dom

Im Inneren findet sich herausragende Kunst, wie die bronzene Bernwardstür aus dem Jahr 1015, die Christussäule von 1020 und der Tausendjährige Rosenstock im Kreuzgang. Für die Objekte aus dem frühen 11. Jahrhundert ist Bernward, der damalige Bischof von Hildesheim verantwortlich.

Bronzetaufbecken aus dem Jahr 1225
Heziloleuchter im Vordergrund, von Bischof Hezilo im 11. Jahrhundert gestiftet. Im Altarraum hängt der Thietmarleuchter, der von seinem Vorgänger Azelin stammt. Insgesamt existieren in Deutschland nur noch vier dieser Radleuchter

In der Krypta findet sich ein weiterer Goldschatz, der Godehardschrein, der die Reliquien des Heiligen Godehard trägt: Godehard war als Nachfolger Bernwards zwischen 1022 und 1038 Bischof von Hildesheim.

Da in der Kirche bereits die Vorbereitungen für den Gottesdienst um 17 Uhr liefen, mussten wir um 16 Uhr den Dom verlassen. Im anschließenden Kreuzgang hatten wir jedoch genug Zeit, uns umzuschauen und den legendären Tausendjährigen Rosenstock in Form einer fast zehn Meter hohen Hundsrose zu begutachten.

Ungewöhnlich, im Kreuzgang noch eine Kapelle zu errichten

Um den Rosenstock rangt sich eine Legende, die eng mit der Gründung der Stadt verbunden ist.

Im Zweiten Weltkrieg arg in Mitleidenschaft gezogen, begann der Rosenstock acht Wochen nach dem Angriff wieder auszutreiben – ein Zeichen für den Wiederaufbau in Hildesheim

Nach der Stadtführung und einem Espresso in der Kaffeebar im historischen Pfeilerhaus war es an der Zeit, nach Buchholz (Aller) aufzubrechen, um unsere Ferienwohnung zu beziehen. Nachdem wir mit dem Vermieter einen kurzen Rundgang gemacht hatten, waren wir auch sicher, hier schöne Tage verbringen zu können.

Jetzt fehlte nur noch das Abendessen. Bereits gestern hatten wir einen Tisch im Restaurant Mehlkammer in der näheren Umgebung reserviert – es wäre auch eine Empfehlung unseres Gastgebers gewesen. In schön restauriertem Ambiente nahmen wir Platz. Leider war Alex’ Flammkuchen mit Käse gratiniert – weniger wäre hier mehr gewesen. Jochen hingegen probierte zum zweiten Mal im Leben Matjes und war zufrieden.

Nach vielen urbanen Eindrücken geht es morgen in die Natur – ein ausgedehnter Spaziergang durch die Lüneburger Heide steht auf dem Programm.

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