Buchholz/Aller (Lüneburger Heide) 10.09. – Wer wieder zu spät kommt, hat nichts dazu gelernt

Aus der stressigen Anreise nach Celle hatten wir offensichtlich nichts gelernt: Puffer für den ersten Termin in Lüneburg waren heute ebenfalls nur 10 Minuten. Leider verhagelte uns auch heute eine Baustelle die entspannte Anfahrt. Vor Ort angekommen, hatten wir fast schon die Hoffnung aufgegeben, an der Rathaus-Führung um 11 Uhr teilnehmen zu können, hier eine kurze Zusammenfassung des Anreisekrimis:

  • 10:50 Uhr: Baustelle blockiert die Anfahrt zum Rathaus – Umleitung ist nicht ausgeschildert
  • 10:50 Uhr – 10:55 Uhr: fünf Minuten andauerndes Fluchen von Jochen und Suche nach einer Ausweichroute
  • 10:58 Uhr: Abstellen des Autos in der Nähe des Rathauses inkl. Lösen eines Parkscheins
  • 10:58 Uhr – 11:02 Uhr: Suche nach dem Eingang “L” des Rathauses, dem Treffpunkt für die Führung. Dumm, wenn man bei “A” anfängt, sich bis “L” abhetzt und dann feststellt, dass es nur 50 Meter in umgekehrter Richtung gewesen wären
  • 11:02 Uhr: Eingang “L” erreicht, kein Mensch da – heftiges Klopfen an der Tür, doch niemand hört uns
  • 11.03 Uhr: Jochen sprintet zur Tourist-Info auf der anderen Seite des Rathauses, Alex wartet, ob sich vor Eingang “L” noch etwas tut
  • 11:03 Uhr -11:05 Uhr: eine Auszubildende in der Tourist-Info sucht nach der Frau mit dem richtigen Schlüssel, die uns zur Führung bringen kann
  • 11:05 Uhr – 11:06 Uhr: Jochen sprintet zurück zu Eingang “L”, holt Alex ab und beide rennen zurück zur Tourist-Info, Dame mit Schlüssel begleitet uns durch das Rathaus, bis wir die Gruppe der Führung erreichen
  • 11:07 Uhr: Wir stoßen zur restlichen Besuchergruppe hinzu und müssen erst mal tief durchschnaufen

Danach trauten wir uns nicht mehr zu fragen, ob Fotografieren erlaubt ist, daher gibt es jetzt die Beschreibungen mit Bildern aus dem DKV-Kunstführer Nr. 307, den wir im Anschluss an die Führung in der Tourist-Info käuflich erwarben.

Das Rathaus Lüneburg besteht aus mehreren Gebäuden, die sich zu einem großen Komplex zusammen gruppieren. Baubeginn war in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, es wurde ein Gewandhaus errichtet, in dem Tücher gehandelt wurden, bis Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden ein Versammlungsort für den Rat der Stadt und eine Kapelle. Die barocke Außenfassade, die mit Figuren von Kaisern und Darstellungen weiblicher Tugenden geschmückt ist, wurde erst Anfang des 17. Jahrhunderts geschaffen. Natürlich darf an einem Ort der Rechtsprechung die Justitia nicht fehlen – in der Fassade wurde sie sogar zweimal dargestellt.

Schicke Fassade – wahrscheinlich konnten die Stadtoberen irgendwann keinen Backstein mehr sehen

Im Innern des Rathauses haben sich über die Jahrhunderte bedeutende Kulturschätze erhalten, allen voran die Gerichtslaube aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, hier ist ein 360-Grad-Panorama zu bewundern. Erbaut wurde der Raum bereits im 14. Jahrhundert und später prunkvoll ausgestattet. Die Ausmalung des Deckengewölbes stammt aus der Zeit, als Christoph Columbus Amerika entdeckte. Die Glasfenster, die bei unserem Besuch gerade restauriert wurden, stellen die Neun Helden dar – je drei Vertreter aus der heidnischen Antike, des Judentums und des Christentums.

Der Raum war zu seiner Zeit fortschrittlich mit einer Warmluftheizung eingerichtet, die die warme Luft der im Erdgeschoss stehenden Öfen nach oben in die Gerichtslaube leitete.

Gerichtslaube –
[entnommen aus DKV Kunstführer Nr. 307]

Ebenfalls mit reicher historischer Bemalung geschmückt zeigt der Fürstensaal dem Besucher auf 25 Tafelbildern Darstellungen der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg samt ihren Frauen – beginnend im Jahr 1235 mit Otto dem Kind bis 1569 Wilhelm dem Jüngeren. Die Holzbalkendecke ist mit 150 Bildern römischen Kaisern sowie deutscher Kaiser und Könige geschmückt, gemalt im Jahr 1607 von Daniel Frese.

Fürstensaal –
[entnommen aus DKV Kunstführer Nr. 307]

Ein weiteres Highlight sind die Eichenholzschnitzereien von Albert von Soest in der Großen Ratsstube, dem Wintersitzungssaal des Rates. Die Szenen stellen überwiegend das Motto gerechte Regierung dar, unter anderem eine äußerst detaillierte und filigrane Darstellung des Jüngsten Gerichts.

Jüngstes Gericht in der Großen Ratsstube –
[entnommen aus DKV Kunstführer Nr. 307]

Nach einer Stunde Rundgang durch das Rathaus stellt sich nur noch die Frage, wie sich Lüneburg diesen Reichtum leisten konnte und was das mit der Lüneburger Heide zu tun hat. Dies erfährt der Besucher bei einer Besichtigung des Lüneburger Salzmuseums oder während einer Stadtführung, der wir uns um 13 Uhr anschließen wollten.

Salz wurde im Mittelalter mit Gold aufgewogen. Der Sage nach erspähten zwei Jäger vor mehr als 1000 Jahren ein Wildschwein, das sich im Morast suhlte. Sie versuchten, es zu erlegen, doch das Wildschwein konnte verletzt fliehen, und die beiden nahmen die Fährte auf. Als sie das Schwein tot in der Sonne auf einer Lichtung fanden, glaubten sie zuerst an ein Wunder, denn die Borsten waren schneeweiß geworden. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich das weiße Fell jedoch als Salzkristalle. Nachdem sie die Stelle, an der das Schwein angeschossen wurde, genauer untersucht hatten, fanden sie eine salzhaltige Quelle. Damit war der Grundstein für den Wohlstand Lüneburgs gelegt. In Folge siedelten sich Salzsieder in der Stadt an, die auf offenen Feuern Salz gewannen. Die Stadt wurde durch das Salz reich, der Wald in der Umgebung von Lüneburg wurde dafür komplett gerodet, und man vermutet, dass so die Heide entstand. Zu Ehren des Wildschweins, das der Stadt den Reichtum bescherte, findet man heute einen Knochen des Tiers im Rathaus von Lüneburg ausgestellt.

Nach Umparken des Autos auf einen kostenlosen Parkplatz außerhalb der Altstadt setzten wir unsere Stadterkundung innerhalb der Altstadtführung fort, die vor dem Rathaus mit einem Rundgang um den Gebäudekomplex begann.

Giebelseite im Westen
Blick vom Rathausgarten auf die Gerichtslaube
Blick in die Straße “Auf dem Meere” und auf die St. Michaelis-Kirche
Reihenhaus in Backsteinoptik

Ebenso wie in Pisa, wo der weiche Untergrund für die Neigung des Turms verantwortlich ist, sorgte Pfusch am Bau auch in Lüneburg zu einer Kuriosität: nicht ordentlich gebrannter Backstein ließ hier das sogenannte “Schwangere Haus” entstehen. Die Fassade des Hauses hat sich im Lauf der Jahrhunderte nach außen gewölbt und es bleibt zu hoffen, dass die Wand mittlerweile gegen weitere Verformung abgesichert wurde.

Das Schwangere Haus mit “dickem Bauch” unterhalb des Fensters

Auf dem Rundgang statteten wir auch der Kirche St. Nicolai einen Besuch ab, die Anfang des 15. Jahrhunderts zu Ehren des Heiligen Nikolaus von Myra in Backsteingotik errichtet wurde. Besonders imposant ist das nur 7,2m breite Mittelschiff, das 28,7m in die Höhe ragt und von einem achtzackigen Sternengewölbe gekrönt wird, das in der Form einmalig in Deutschland ist.

Der dreiflügelige Altar aus dem Jahr 1440 wurde aus der abgerissenen Lambertikirche hierher verfrachtet. Interessant ist, dass im Sockel des Altars sechs Propheten im Stil mittelalterlicher Kaufleute dargestellt sind – wenn das mal keine Anmaßung ist. Ob die Propheten bereits den Verfall des Salzpreises und den Niedergang der Stadt Lüneburg vorhersehen konnten?

Reich geschnitzter Altar von St. Nicolai

Im Anschluss erreichten wir den Stintmarkt. Hier wurde früher der Stint gehandelt, ein kleiner lachsartiger Fisch, der die Elbe hinauf über die Ilmenau bis nach Lüneburg schwamm, um sich dort fangen zu lassen. Von hier aus wurde auch das Salz in Richtung Ostsee verschifft: Der Alte Kran, urkundlich erstmals 1346 erwähnt und 1797 in der heutigen Form erneuert, zeugt noch von der Verladung der Salzsäcke, was eine schweißtreibende Angelegenheit war.

Brücke über die Ilmenau mit Blick auf den Stintmarkt
Am Ufer der Ilmenau lässt es sich auch kulinarisch aushalten
unfreiwilliges Fitnessprogramm im Mittelalter

Der Vollständigkeit halber sollte noch erwähnt werden, dass in Lübeck die Dreharbeiten zur Telenovela Rote Rosen stattfinden. Mittlerweile wurden bereits über 3000 Folgen ausgestrahlt – wir haben noch keine einzige gesehen und die Frage, ob wir etwas verpasst haben, stellt sich wohl nicht. Diese Serie scheint jedoch weitere Touristen in die Stadt zu bringen, da sogar Führungen zu den Originaldrehorten angeboten werden.

Vom Lüneburger Hafen folgten wir dem Lauf der Ilmenau entlang historischer, schön renovierter Fassaden, die von einer reichen Vergangenheit der Stadt zeugen, bis zum nächsten Denkmal der Backsteingotik, der St. Johannis Kirche.

Die teuren Autos zeugen von aktuell wohlhabenden Besitzern

Der fünfschiffige Bau wurde zu großen Teilen im 14. Jahrhundert fertiggestellt und ist damit die älteste Kirche in Lüneburg. Im Innern sticht die mächtige historische Orgel aus dem Jahr 1553 ins Auge, die in späteren Jahrhunderten noch erweitert und erst vor kurzem generalüberholt wurde.

Passt wie angegossen

Der gotische Marienleuchter ist eine prunkvolle norddeutsche Arbeit aus dem späten 15. Jahrhundert, die Maria unter einem vergoldeten Baldachin mit dem Kinde im Strahlenkranz darstellt.

Gotischer Marienleuchter

Der Hauptaltar aus dem 15. Jahrhundert stellt als Motiv die Kreuzigung Jesu in den Mittelpunkt des Geschehens, umrahmt von zwei Gruppen von 10 Aposteln und 16 Frauengestalten.

Chor mit Hauptaltar

Unweit der St. Johannis Kirche liegt Am Sande, einer der zentralen Plätze der Stadt. Früher ungepflastert – und damit sandig – diente der Platz den Händlern als Markt. Rundherum gruppieren sich mittelalterliche Häuserfassaden, Cafés laden zu einem Zwischenstopp ein – ein Angebot, das wir nach der Stadtführung dankend annahmen.

Blick zurück auf die Johanniskirche
In dem prächtigen Gebäude am westlichen Ende des Platzes residiert heute die IHK Lüneburg-Wolfsburg

Nach einer kurzen Stärkung in einem Café machten wir uns auf den Weg zurück zum Rathaus und starteten die Fotodokumentation bei deutlich besserem Wetter. Ein kleiner Abstecher führte uns zur St. Michaelis Kirche, der Kirche des ehemaligen Benediktinerklosters St. Michael, an desssen Michaelisschule Johann Sebastian Bach seinen Abschluss machte.

Kirche St. Michaelis

Von dort führte uns die bezaubernde schmale Gasse Auf dem Meere zurück zum Rathaus.

Malerische Altstadtgasse “Auf dem Meere”
Schön

Nach so vielen schönen Eindrücken wandten wir uns den leiblichen Bedürfnissen zu. Im Hinterhof des thailändischen Restaurants Buddha fanden wir einen Platz und ein ordentliches asiatisches Abendessen.

Keine Sorge, bei einem Besuch dieses Restaurants kann man nichts falsch machen
Mmmh – lecker

Die knapp einstündige Heimfahrt verlief deutlich stressfreier als die Fahrt am Morgen.

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