Chemnitz 16.04. – Spaziergang durch die Stadt

Waren es gestern drei Museen, die wir uns angeschaut hatten, so standen heute drei Rundgänge durch Chemnitz auf dem Programm: Die beiden Routen entlang markanter Punkte der Ostmoderne und der Industriekultur vergangener Jahrzehnte kombinierten wir, um am Ende in direkter Nähe zu unserer Unterkunft auf dem dritten Rundgang den Kaßberg, ein Wohnviertel westlich des Flüsschens Chemnitz, zu erkunden.

Die erste kleine Herausforderung meisterten wir mit Bravour: Um von unserer Ferienwohnung zum Startpunkt des Spaziergangs zu gelangen, bestiegen wir um kurz vor 11 Uhr den Bus der Linie 32 und erreichten gut 15 min später den Omnibusbahnhof, den ersten Punkt auf unserer Route entlang der Ostmoderne. Beim Bau Ende der 1960er Jahre galt der Busbahnhof als einer der modernsten Europas – mittlerweile ist das Pylonen-Hängedach allerdings etwas in die Jahre gekommen und könnte eine Renovierung gebrauchen.

Erste Herausforderung des Tages erfolgreich gemeistert
1200 qm Dachfläche schützen die Fahrgäste vor Regen und Schnee

Von dort aus ging es zum Flüsschen Chemnitz mit den beiden sehr schön restaurierten Fabriken Haase und Janssen. Erstere diente als Firmensitz der Färberei von Theodor Haase, erbaut in den Jahren 1908/ 1909. Im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört wurde das Gebäude wieder aufgebaut und blieb bis 1972 im Familienbesitz, bis es schließlich enteignet wurde. In den Folgejahren wurde es als “Faserveredelung Karl-Marx-Stadt“ weitergeführt und 1981 schließlich in das „Strumpfkombinat ESDA Thalheim“ eingegliedert. 1990 wurde der Betrieb eingestellt. Nach aufwendiger Restaurierung ab 2013 haben sich mittlerweile neue Mieter für das Gebäude gefunden.

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das klassizistische Wohn- und Kontorhaus im Vordergrund im Stil des Art Déco umgestaltet

Ein paar Meter weiter auf der anderen Flussseite erstrahlt die ehemalige Strumpfwirkerei William Janssen von 1894 inzwischen im neuen Glanz. Hier hatte ab 1957 der „VEB Hydraulik“ Rochlitz seine Büros. Ab 1991 stand das Gebäude leer. Neben einem Restaurant (unser Ziel für das Abendessen an Ostersonntag) befindet sich hier unter anderem heute ein Fabrikverkauf der bekannten sächsischen Unterwäsche-Marke Bruno Banani – wobei wir ehrlicherweise nicht wussten, dass die Marke aus Chemnitz stammt.

Im Flüsschen Chemnitz sahen wir Fische friedlich schwimmen, das war in den letzten 100 Jahren sicherlich nicht immer der Fall

Wir orientierten uns Richtung Zentrum und wurden kurze Zeit später von einer älteren Frau aus der Tourismusbranche angesprochen, die uns bei der Orientierung helfen wollte, obwohl wir gar nicht verzweifelt aussahen. Sie wies uns den Platz, wo wir ein besseres Foto der Stadthalle aus dem Jahr 1974 mit dem markanten Sichtbeton schießen könnten.

Kultur- und Kongresszentrum im Herzen der Stadt

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist der berühmteste Kopf der Stadt – Karl Marx, der der Stadt in den Jahren 1953-1990 ihren Namen gab – nicht zu übersehen. 40 Tonnen schwer ist die über sieben Meter große Monument von Lew Kerbel (genannt “Nischel”) aus dem Jahr 1971. Auf dem Gebäude hinter der Plastik findet sich der Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ aus dem Kommunistischen Manifest in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch.

Sozialismus in der DDR gescheitert, “Karl-Marx-Stadt” wieder zurück in “Chemnitz” geändert – Erfolg sieht anders aus

Von der historischen Innenstadt von Chemnitz ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht allzu viel erhalten geblieben. Ältestes noch erhaltenes Bauwerk ist der Rote Turm aus dem 12. Jahrhundert: Erbaut als Bergfried wurde er später in die Stadtbefestigung integriert.

Die burgähnliche Gestaltung der Galerie Roter Turm fügt sich harmonisch ins Stadtbild ein

Interessanterweise erschien uns das Neue Rathaus von Anfang des 20. Jahrhunderts älter als das Alte Rathaus aus dem 15. Jahrhundert. Man sollte sich also nicht durch den ersten Eindruck täuschen lassen.

Erst vor 2 Tagen feierlich eingeweiht – der Marktbrunnen des Künstlers Daniel Widrig

Während bei uns zu Hause die Magnolien- und Kirschbäume verblüht sind, konnten wir sie in Chemnitz noch in voller Blüte erleben – die Natur hinkt dem Rhein-Main-Gebiet um zwei Wochen hinterher. An einem Fußgängerübergang staunten wir nicht schlecht, als wir vor der roten Ampel einen motorisierten Osterhasen auf Zustelltour entdeckten. Bis morgen früh wird er noch einiges zu erledigen haben.

Den Kaßberg, bevölkerungsreichster Teil von Chemnitz, hoben wir uns für den Schluss unseres Rundgangs auf. Das Areal war zwischen 1870 und 1930 eine beliebte Wohngegend, auch wegen der im Vergleich zum Rest der Stadt weniger verschmutzten Luft. 1990 bot der Kaßberg allerdings ein trauriges Bild, viele historische Wohngebäude standen leer und waren verfallen. Nach 1990 konzentrierte man sich daher vor allem auf die Sanierung der Bausubstanz sowie auf die Bebauung von Lücken, so dass heute noch eine Vielzahl von Gründerzeit- und Jugendstilvillen erhalten ist.

Ehemalige Oberpostdirektion – heute eine Wohn- und Pflegeeinrichtung für Senioren

Die beiden kulinarischen Highlights des Tages sollen nicht unerwähnt bleiben: Beim Spaziergang über den Kaßberg legten wir einen Stopp im Emmas Onkel ein: Das schön eingerichtete Café bietet eine Reihe von leckeren und außergewöhnlichen Kuchen. Jochen probierte zum Beispiel eine Pinien-Rosmarin-Tarte, war jedoch mehr noch vom Butter-Streußelkuchen von Alex begeistert.

Noch ist jede Menge Platz, das sollte sich aber kurze Zeit später deutlich ändern

Für das Abendessen hatten wir einen der vier vorhandenen Tische in der Pizzeria Adria reserviert – das Restaurant lebt offensichtlich davon, dass sich Gäste ihr Abendessen nach Hause holen. Der Pizzabäcker hatte jedenfalls alle Hände voll zu tun, alle Anfragen rechtzeitig erfüllen zu können.

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