Manchmal ist die Erklärung für etwas, das man sieht, ganz anders, als man es sich zusammengereimt hat – so ging es uns heute in Bozen.
Zunächst jedoch mussten wir leider feststellen, dass die Hälfte unseres Urlaubs in Südtirol bereits vorüber ist. Gleichzeitig freuten wir uns auf die zweite Woche, was einen Ortswechsel von Afers nach Goldrain im Vinschgau und damit vom Osten in den Westen von Südtirol bedeutete. Auf der Fahrt dorthin war noch ein Stopp in Bozen geplant, einige Sehenswürdigkeiten hatten wir uns für heute aufgespart.
Die Alte Grieser Pfarrkirche in einem Stadtteil von Bozen stand als erstes auf unserem Besichtigungsprogramm. Hier befindet sich eines der großen Kunstwerke aus spätgotischer Zeit, ein Schnitzaltar von Michael Pacher von 1475. Leider haben wir ihn nicht zu Gesicht bekommen – die Kirche ist Samstag und Sonntag geschlossen. Also bewunderten wir kurz die kunstvollen Grabsteine und Grabkreuze auf dem die Kirche umgebenden Friedhof und kehrten zum Auto zurück.
Auf dem Weg zurück zum Auto sahen wir bereits Musikanten in Tracht, die in Richtung der nahegelegenen Stiftskirche St. Augustin unterwegs waren und sich dort versammelten. Vor der Kirche fand sich zudem eine Hochzeitsgesellschaft zusammen und wartete auf die Braut. Wir beschlossen, mit ihnen zu warten. Nach einer halben Stunde waren alle Gäste samt Bräutigam in der Kirche verschwunden und die Braut kam mit einem roten Volkswagen Bulli vorgefahren.
Die Musikkapelle spielte ein kurzes Lied, die Tore der Kirche schlossen sich und die Musikkapelle wartete wieder.
Wir beschlossen erst mal, unser morgendliches Ritual zu vollführen und einen Espresso in einem nahe gelegenen Café zu trinken – dabei die Kirche aber nicht außer Acht zu lassen. Direkt vor der Kirche passierte eine ganze Zeit lang nichts, auf der Straße wurden gegenüber zwei professionelle Kameras und Lautsprecherboxen aufgebaut, Straßenschilder wegen der besseren Sicht abgebaut und irgendetwas organisiert.
Zwischenzeitlich bot sich noch ein schönes Fotomotiv, als eine Nonne auf dem Fahrrad die Straße herunter geradelt kam.
Für uns war die Situation ganz klar: Hochzeit, große Blasmusikkapelle, Kameramänner vom ORF – hier geben sich zwei (uns jedoch unbekannte) Prominente das Ja-Wort. Neugierig, wie Jochen nun mal ist, fragte er einen der herumstehenden Fernsehleute, wer denn heute hier heiratet. Die Antwort darauf wusste er nicht, allerdings erklärte er die ganzen Kameras:
Im ORF läuft seit 1986 die Sendung Klingendes Österreich mit dem Moderator Sepp Forcher, in der Brauchtum und Tradition aus unterschiedlichen Regionen Österreichs und der angrenzenden Länder gezeigt wird. Sepp Forcher, der dieses Jahr seinen 89. Geburtstag feiert, wird eine finale Jubiläumssendung moderieren, deren Beiträge aktuell aufgezeichnet werden. Im April nächsten Jahres soll die Sendung ausgestrahlt werden. Heute standen die Filmaufnahmen mit der Bürgerkapelle Gries auf dem Programm.
Dazu musste die Musikkapelle ausgehend von der Kirche die Straße runter laufen – nachdem diese für den üblichen Verkehr gesperrt worden war und ein Notarztwagen passiert hatte. Aus dicken Musikboxen am Straßenrand lief das Playback. Und weil es so schön war, durfte die Kapelle den Weg nicht nur einmal, sondern dreimal laufen – damit auch alles für den Fernsehzuschauer perfekt im Bild ist. Wir schauten uns das Spektakel natürlich nur einmal an – und sind jetzt bereits gespannt auf die Ausstrahlung im kommenden Frühjahr.
Unser Zeitplan war durch die ORF – Aufzeichnung gewaltig durcheinander geraten, aber was soll’s – wir sind ja im Urlaub. Die Besichtigung der Burg Hocheppan ließen wir einfach ausfallen und begnügten uns mit einem Bild von der Straße aus.
Vor der Besichtigung von Schloss Runkelstein war noch Zeit für einen Abstecher zum Kalterer See: Die Region lebt neben dem Tourismus vom Wein, insbesondere die Vernatsch-Traube wird hier kultiviert und zu Rotwein verarbeitet. Im Reiseführer wurde eine Jausenstation mit Blick auf die umliegenden Weinberge empfohlen: Auf der Terrasse der Waldschenke Kaltern machten wir kurz Rast, bevor wir im Anschluss an einem Aussichtspunkt in der Nähe der Kirche St. Vigil von Altenburg einen Blick auf den See werfen konnten.
In der Nähe der Kirche sahen wir Äpfel, die wir so bei uns noch nicht im Regal entdeckt hatten. Wie wir später von unserer Gastgeberin in Goldrain erfuhren, ist die Sorte für den italienischen Markt gedacht und schmeckt gleich nach der Ernte nach nicht allzu viel, der Apfel muss erst ein wenig gelagert werden. Daher sind wir nicht allzu böse, wenn die Sorte auch zukünftig nicht bei uns im Supermarkt auftaucht.
Langsam lief uns die Zeit davon, um 15 Uhr wollten wir an einer Führung in Schloss Runkelstein in der Nähe von Bozen teilnehmen. Wir kamen ein paar Minuten zu spät an, die sehr freundliche Mitarbeiterin im Shop lotste uns allerdings gleich die Treppe hoch, so dass wir nur den Start der Führung verpassten hatten. Im Anschluss erfuhren wir viel Interessantes über die Burg, die Besitzer und die Wandmalereien, für die die Burg berühmt ist, handelt es sich doch um Fresken, die nicht kirchlichen, sondern bürgerlichen Ursprungs sind – ein Zeichen des wachsenden Wohlstands der Kaufleute und Bürger.
Die Burg hat einige Besitzerwechsel hinter sich. 1385 erwarben die beiden Brüder Franz und Niklaus Vintler die Burg und sorgten für deren reiche Ausmalung.
Nach Zerstörungen, Wiederaufbau und Umbauten verfiel die Burg zusehends. Um 1880 wurde sie vom Habsburger Erzherzog Johann Salvator gekauft und Kaiser Franz Joseph I. geschenkt, der für eine umfangreiche Restaurierung der Burg sorgte und diese letztendlich 1893 der Gemeinde Bozen schenkte.
Im dreistöckigen Westpalas finden sich im 2. Stock Fresken des höfischen Lebens, die beispielsweise Frauen bei einem beliebten Ballspiel, verschiedene Jagdszenen und ein Lanzenturnier zeigen.
Im dahinter liegenden Zimmer, das auch als “Badezimmer” bezeichnet wird, finden sich auf einer Wandseite Fresken, die unbekleidete Menschen zeigen – es könnte sich dabei aber auch um Skizzen zukünftiger Malereien handeln, die Historiker sind sich nicht einig.
Im Obergeschoss finden sich im ersten Zimmer Szenen eines Turniers, bei dem die Reiter versuchen, mit Kolben ihren Gegnern den Helm vom Kopf zu stoßen.
Im dahinter liegenden sogenannten “Zimmer der Liebespaare” wenden sich jeweils männliche und weibliche Paare einander zu. Nur an einer Stelle blickt eine der Damen den Betrachter an – was vermutlich an dessen Attraktivität liegt.
Im später entstandenen Sommerhaus, das ab 1410 ausgemalt wurde, finden sich in einem Zimmer Fresken, die wir in der Form so noch nicht gesehen hatten – wahrscheinlich war man irgendwann der bunten Bilder überdrüssig und so kamen einfarbige, monochrome Wandmalereien im Terraverdestil in Mode. Dargestellt ist die Geschichte von Tristan und Isolde in der Bearbeitung von Gottfried von Straßburg, die damit beginnt, dass Tristan gegen einen Drachen kämpft, ihn natürlich besiegt und ihm die Zunge abschneidet, die er sich anschließend um den Hals hängt.
Dummerweise versetzt das Gift der Drachenzunge Tristan in Ohnmacht, aus der er von Isoldes Mutter gerettet wird – so nimmt das Schicksal zwischen Tristan und Isolde seinen Lauf. Die Geschichte endet damit, dass Isolde von ihrem Ehemann König Marke einer Prüfung unterzogen wird, ob sie jemals in den Armen eines anderen Mannes gelegen habe. Durch eine List besteht Isolde beim Gottesurteil den Test: Sie verbrennt sich am glühenden Eisen, das der Bischof mit der Zange festhält, nicht die Hände.
Im folgenden Zimmer ist ein weiterer Freskenzyklus zu sehen, die Darstellung der Artus-Erzählung Garel vom blühenden Tal.
Die Außenseite des Sommerhauses schmücken Malereien von neun Personen-Dreiergruppen wie z.B. Helden der Antike oder biblische Gestalten.
Nach der Führung besuchten wir kurz die Sonderausstellung Maximilian I. und seine Bilderburg Runkelstein des angeschlossenen Museums, bevor es endgültig in den Vinschgau ging.
Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir Goldrain und damit unsere neue Unterkunft inmitten von Apfelplantagen. Nach einem freundlichen Willkommen unserer Gastgeberin und einer kurzen Führung durchs Haus bezogen wir unsere Ferienwohnung im 2. Obergeschoss.
Zum Abendessen konnten wir heute mal zu Fuß gehen: Nach Überquerung des Bahnübergangs und der Etsch fanden wir einen Platz im Restaurant Bruggenwirt und ließen uns die bisher beste Pizza unseres Urlaubs schmecken.