In Chester waren wir nicht die ersten “Touristen” aus dem Süden: Bereits 2000 Jahre vor uns bauten die Römer das Kastell Deva und hinterließen bis heute ihre Spuren in der Stadt. So entdeckten wir bei unserem Rundgang Reste des antiken Amphitheaters, wo Schulklassen die römische Geschichte mit Schild, aber ohne Schwert, live nachspielen durften. Der Name der Stadt leitet sich vom lateinischen Wort “castrum” ab, was so viel wie “Lager”, “Festung” oder “Militärlager” bedeutet. Einige britische Städte wie zum Beispiel Manchester, Leicester, Gloucester oder Winchester tragen ebenfalls ihren römischen Ursprung somit heute noch im Namen.
Ein weiteres Relikt aus römischer Zeit ist die Straßenführung in der Stadt, bei der am Chester Cross vier Hauptstraßen zusammentreffen. Chester war zu römischer Zeit die wichtigste Stadt in England und ein bedeutender Markt- und Warenumschlagsplatz. Unter anderem stellte damals wie heute der Käse der Region gleichen Namens einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.
Das an der Kreuzung stehende Kreuz ist allerdings neueren Datums und stammte ursprünglich aus dem 14. Jahrhundert. Es wurde im Lauf der Jahrhunderte beschädigt, zertrümmert und konnte, nachdem man Fragmente wieder entdeckte, restauriert und letztendlich 1975 an seinem heutigen Standort neu errichtet werden.
Heute steht das Kreuz im Zentrum der Stadt und ist ein beliebter Treffpunkt, an dem in Sommermonaten Chesters Stadtschreier mittags eine nicht ganz ernst gemeinte Proklamation verkündet. Wir beobachteten das lustige Treiben aus einiger Entfernung, um nicht dem Stadtschreier als Opfer zu dienen, der sich Besucher aus dem Publikum herauspickte und Späße mit ihnen machte.

Nach der Invasion Wilhelm des Eroberers im Jahr 1066 errichteten die Normannen in Chester eine Benediktinerabtei. Das heutige Erscheinungsbild der Kathedrale, deren Ursprünge auf die Kirche der Benediktiner zurückgehen, ist das Ergebnis einer Baukampagne, die etwa Mitte des 13. Jahrhunderts begann und mit Unterbrechungen bis Mitte des 16. Jahrhunderts andauerte. Nach der Loslösung der englischen Krone von der katholischen Kirche durch König Heinrich VIII. im Jahr 1538 wurden alle englischen Klöster aufgelöst. Die Abteikirche wurde drei Jahre später auf Befehl des Königs zur Kathedrale erhoben.
Das kunstvolle Chorgestühl im Innern der Kirche stammt aus dem Ende des 14. Jahrhunderts. An den Seitenwänden sind Figuren und Fabelwesen zu entdecken und sogar die Unterseite der hochklappbaren Stühle wurden mit Schnitzereien reich verziert. Auf die an der Unterseite angebrachten Bretter konnten sich die Mönche während lang andauernder Messen abstützen. Und wie so oft lohnte auch ein Blick nach oben an die prachtvolle Decke.




Da es im Gegensatz zu Deutschland in England keine Kirchensteuer gibt, ist die Church of England hauptsächlich auf Spenden und Erträge aus ihrem eigenen Vermögen angewiesen. Um Einnahmen zu generieren, muss die Kirche kreativ sein: So befindet sich im Speisesaal der Mönche aus dem 13. Jahrhundert das Café 1092, in dem man in wunderschöner Umgebung eine kleine Auszeit zum Essen, Trinken und Entspannen nehmen kann. Eine Gelegenheit, die wir nicht ungenutzt verstreichen ließen.
Die Fachwerkhäuser im spätmittelalterlichen Tudor-Stil stellen eine weitere Sehenswürdigkeit in Chester dar. Im Historismus zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Tudorstil wieder aufgegriffen und so stammen die heutigen markant schwarz-weißen Fachwerkhäuser aus dieser Zeit.
Eine Besonderheit dieser sogenannten “rows” geht jedoch auf eine deutlich frühere Zeit zurück. Auf Ebene der Straße finden sich Geschäfte, über denen eine weitere Reihe von Geschäften und Räumlichkeiten etwas zurückversetzt liegt. Vor diesen, die über eine Treppe erreichbar sind, verläuft ein durchgehender Gehweg. Das Stockwerk darüber überlappt diesen und bildet so eine überdachten Weg, die “row”.

Zu Zeiten der industriellen Revolution ließ sich die englische Oberschicht hier in der Nähe der Industriestädte Liverpool und Manchester nieder und sorgte so für eine erneute Blüte. Der malerische Charakter der Stadt wurde bewusst gepflegt und die Stadttore, unter anderem Eastgate, wurden erneuert und ausgeschmückt. Die Eastgate-Uhr auf dem gleichnamigen Stadttor gilt nach Big Ben als die meistfotografierte Uhr Englands. Die offizielle Einweihung der Uhr fand am 27. Mai 1899, dem 80. Geburtstag von Königin Victoria, statt.

Die Nähe zu Liverpool ist unschwer in der Fußgängerzone zu sehen. Ein riesiger zweistöckiger Fanshop des FC Liverpool bietet alles, was man als “Reds”-Fan haben muss, auch wenn man diesen Bedarf vor Betreten des Shops noch gar nicht kannte.

Im Grosvenor Park würdigt die Stadt mit einer beeindruckenden Korbskulptur die Krönung Ihrer Majestäten König Charles III. und seiner Gemahlin Camilla am 6. Mai 2023 in der Westminster Abbey in London. Jochen ließ es sich nicht nehmen, einmal auf dem Stuhl von König Charles III. Platz zu nehmen.
Damit gehen zwei erlebnis- und abwechslungsreiche Wochen in England und Wales zu Ende. Nicht nur aufgrund des hervorragenden Reisewetters hat es uns im Westen Großbritanniens sehr gut gefallen.














