Locarno 09.06. – Ausflug ins Maggiatal

Die Informationen im Reiseführer zum Maggiatal, dem größten Tal der italienischen Schweiz, das mit einer Länge von 65 Kilometern ein Fünftel der Gesamtfläche des Tessins ausmacht, umfassten inklusive seinen Seitentälern 24 Seiten. Gar nicht so einfach, sich bei der Vielzahl der Möglichkeiten zu entscheiden. Erschwerend kam hinzu, dass heute am Pfingstmontag nicht klar ersichtlich war, ob die Öffnungszeiten von Restaurants und Museen denen eines normalen Werktags oder eines Feiertags entsprachen. Also galt es, ein wenig spontan zu sein und eventuell zu improvisieren.

Am Taleingang bei Ponte Brolla hat sich die Maggia tief in den Fels gegraben. Über den Fluss führt eine schmale Straßenbrücke und unterhalb liegt ein bei Touristen beliebter Badeplatz im Sommer. Am frühen Vormittag war hier noch nicht allzu viel los, lediglich zwei Urlauber hatten ihre Handtücher auf den Felsen ausgebreitet und eine Familie mit Hund tastete sich vorsichtig über die glatten Felsen.

Ausblick auf jahrtausendelange Arbeit des Flusses
Brücke über die Maggia bei Ponte Brolla

Da die kleine Chiesa della Madonna delle Grazie etwas außerhalb von Maggia wie erwartet geschlossen war, blieben uns die Renaissancefresken aus dem 16. Jahrhundert vorenthalten und wir konnten uns ohne Umschweife unseren weltlichen Bedürfnissen im kleinen Örtchen Lodano zuwenden. Dort hatte uns die Speisekarte der Osteria Cramalina angelacht, statt Abend- gab es heute damit ausnahmsweise Mittagessen. Die schmalen Gassen des Ortes bedingten das Abstellen des Autos außerhalb.
Zu unserem Glück galt heute die Sonntag-Speisekarte, ansonsten hätte es Montag (und Dienstag) mittags nur kalte Küche gegeben. Die sehr freundlichen Bedienungen wechselten in Windeseile zwischen Schweizerdeutsch, Italienisch und für uns ins Hochdeutsch. Mit wunderschönem Blick auf den kleinen Dorfplatz genossen wir unser Essen.

Da schmeckt das Mittagessen doch gleich doppelt gut

Knapp 30 Kilometer von unserem Startpunkt Locarno entfernt lockt in Rovana – ein Ortsteil von Cevio, dem Hauptort des Bezirks Vallemaggia – die kleine Wallfahrtskirche Beata Vergine del Ponte aus dem Jahr 1615 Besucher an. Von außen noch einigermaßen unscheinbar, offenbart sich ihre außerordentliche Pracht und reiche Ausschmückung im Innern. Unzählige Engel und Putten, auf Gesimsen und Kapitellen sitzend, empfangen den Besucher.

Beata Virgine del Ponte an der Brücke über die Rovana
Bei der Verzierung der Kirche hat man keinen Platz ausgespart

Auf der andern Seite des kleinen Flüsschens Rovana duckte sich eine Reihe typisch Tessiner Steinhäuser unter einem Felsen.

Hoffentlich bleibt die Rovana immer brav in ihrem Flussbett

In Cevio teilt sich die Straße und man folgt entweder dem Lauf der Maggia weiter oder zweigt in das sich nach Westen erstreckende Bavonatal ab. Wir entschieden uns zunächst für die erste Variante mit der Option, auf dem Rückweg einen kleinen Abstecher ins Tal der Bavona zu machen.

Das Tal der Maggia wird ab Cevio enger und steigt merklich an. Mogno, knapp 20 km hinter Cevio gelegen, ist nur über schmale Serpentinenstraßen zu erreichen und wir waren froh, auf diesem Abschnitt nicht dem Postbus zu begegnen, der übrigens auch die entlegenen Täler des Maggiatals anfährt – auf dem Rückweg von Mogno hatten wir allerdings weniger Glück und mussten ein kurzes Stück zurücksetzen, als uns der Bus entgegenkam.

Irgendwann ist ein Stück vom Felsen abgebrochen
Hinter Peccia geht es nur noch in Serpentinen weiter nach Mogno
Blick ins Valle di Peccia, nachdem man sich erfolgreich die Serpentinen hochgearbeitet hat

Mogno wurde bereits des Öfteren von Überschwemmungen und Erdrutschen heimgesucht, an der Hauptstraße waren noch die Überreste eine Gerölllawine zu sehen, die Teile eines Hauses zerstört hat.

Blick auf den idyllischen und schön restaurierten Teil von Mogno

Im Jahr 1986 zerstörte eine Lawine die 1636 erbaute Kirche des kleinen Ortes komplett. Nach den Plänen des Luganer Architekten Mario Botta wurde San Giovanni Battista 1992-1996 modern wiederaufgebaut. Als Material verwendete er abwechselnde Schichten einheimischen Peccia-Marmors und Vallemaggia-Granit.

Links die neue Kirche rechts ein Heuschober aus dem Jahr 1651, der ebenfalls durch die Lawine zerstört und wiederaufgebaut wurde

Licht fällt ausschließlich von oben durch das Glasdach des ansonsten fensterlosen Gebäudes. Beim heutigen Sonnenschein zauberten die Streben des Dachs schöne Lichteffekte ins Kircheninnere, wo lediglich 15 Besucher Platz finden. Die beiden Glocken der Kirche aus dem Jahr 1746 sind die einzigen Relikte der zerstörten Vorgängerkirche.

Altarraum der Kirche
Blick von einem der Sitzbänke nach oben
Kurzes Einschlafen beim Gottesdienst fällt bei so wenigen Besuchern direkt auf

Nach einer wohltuenden Pause und einem kleinen Spaziergang rund um den Ort kehrten wir um und fuhren den Weg zurück nach Cevio.

Die Idylle trügt – die Existenz der Bewohner von Mogno ist jederzeit von Naturkatastrophen bedroht

Im kleinen, aber sehenswerten Museo di Valmaggia wird das harte Leben der Bewohner des Maggiatals dokumentiert, bevor Tourismus, Straßenverkehr und Strom Einzug in das Tal hielten. Das Leben der Menschen, die darauf angewiesen waren, ihren Lebensunterhalt auf den winzigen Agrarflächen zu erwirtschaften, war geprägt von Hungersnöten, Naturkatastrophen, Überschwemmungen oder Lawinen. Viele vor allem junge Männer waren daher gezwungen, ihr Glück außerhalb des Tals und ab dem 19. Jahrhundert gar in Australien oder Amerika als Goldsucher zu suchen. Wohnten 1850 noch 7.500 Einwohner im Tal, sank ihre Zahl bis zum Jahr 1941 auf nur noch 4.047. Kinder mussten schon früh zum Überleben beitragen und zogen unter anderem als Kaminkehrer in die Städte Norditaliens. Gemeinden im Maggiatal verloren die Hälfte der Männer, zurück bleiben nur noch Frauen, Kinder und alte Menschen. Die Frauen müssen fortan neben Haushalt und Versorgung der Kinder auf den Feldern schuften.

Im Museum Valmaggia in Cevio wird das Leben der Bewohner des Maggiatals dokumentiert
In einem unterirdischen Grotto, errichtet an einen riesigen Fels aus einem Felsturz, wurde aufgezeigt, wie früher Wein, Grappa und Kastanienöl hergestellt wurden
Klein, aber fein
Dokumentation eines Teils der schweren Hausarbeit der Frauen – von Wäsche waschen über Nähen bis hin zu Wolle spinnen
Die katholische Kirche spielte eine bedeutende Rolle – wenn schon das irdische Leben so beschwerlich war, gab es wenigstens die Hoffnung auf das Paradies
Das Anfang des 19. Jahrhunderts langsam aufgebaute Schulsystem trug nur langsam Früchte – gingen die Kinder in die Schule, fehlten sie als Arbeitskräfte. Ende des Jahrhunderts war Analphabetismus noch weit verbreitet
Kochtöpfe aus Speckstein – langlebig, aber schwer

Nach dem Museum blieb uns noch Zeit für eine kurze Pause an der großen Piazza von Cevio, wo von Anfang des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts die Landvögte ihren Sitz hatten. Nachdem die Eidgenossen das Tal besetzt hatten, wurde es eine Vogtei der zwölf eidgenössischen Orte. Die Aufgabe eines auf zwei Jahre gewählten Vorstehers war Rechtstreitigkeiten zu schlichten.

Die eidgenössischen Wappen schmücken das ehemalige Hause der Vögte

Im Anschluss fuhren wir in das schmale und felsige Bavonatal, das heute nur noch im Sommer bewohnt ist, nicht alle Dörfer des Tals sind an die Stromversorgung angeschlossen. Bei einem verheerenden Unwetter Ende Juni 2024 wurde eine Steinlawine ausgelöst: Häuser des Dorfes Fontana wurden größtenteils zerstört, mehrere Menschen kamen ums Leben und die einzige Straße im Tal wurde auf Hunderten von Metern verschüttet. Daraufhin wurde der Zugang zum Tal für neun Monate komplett gesperrt. Erst nachdem eine neue Straße durch die Geröllmassen fertiggestellt worden war, konnten Touristen ab Mitte April 2025 wieder in das Tal zurückkehren.

Die Hinterlassenschaften des Unwetters sind auf der Fahrt durch das Tal noch eindrucksvoll zu sehen.

Rechts und links der neu asphaltierten Straße sind noch die Überreste der Gerölllawine mehr als deutlich

Wir fuhren bis zum kleinen Ort Foroglio, dessen Häuser zusammen mit dem in der Nähe herabstürzenden Wasserfall eine wunderbare Kulisse abgeben. In der Abendsonne waren wir nicht die einzigen, die die letzten Sonnenstrahlen des heutigen Tages genossen: Auf dem Weg hinunter zum Wasserfall sonnten sich zwei Smaragdeidechsen und ließen sich auch von neugierigen Touristen nicht aus der Ruhe bringen.

Mittlerweile hat der Tourismus Foroglio erobert
So stellt man sich Alpenidylle vor – ohne Naturkatastrophen
Am Fuße des Wasserfalls von Foroglio
Sonnenanbeterin
Auf Wiedersehen Foroglio – wir hoffen, das Tal bleibt von weiteren Naturkatastrophen verschont

Mit einem Zwischenstopp am Beinhaus auf dem Kirchplatz Madonna del Carmelo in Coglio fuhren wir zurück nach Locarno.

Barockes Beinhaus von 1765
Dass hier der Tod regiert, ist nicht zu übersehen

Zum Abschied von Locarno und dem nördlichen Teil des Laggo Maggiore gönnten wir uns in einer Bar am Seeufer ein letztes kühles Getränk für heute.

In Locarno hergestellte Limonade mit Mandarinengeschmack – Salute!

Morgen fahren weiter zu unserer Ferienwohnung in Baveno, im italienischen Teil des Lago Maggiore.

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