[Hinweis: Auf dieser Tour ist Jochen alleine unterwegs]
Nach zwei Tagen Wandern und vor den in den kommenden Tagen anstehenden Touren stand heute ein wenig Abwechslung auf dem Programm, auch wenn dies im Endeffekt gar nicht so viel weniger Kilometer zu Fuß bedeutete. Östlich das Brienzersees, von Wilderswil einfach und unkompliziert mit Bahn und Bus zu erreichen, liegt das Freilichtmuseum Ballenberg, eingebettet in die idyllische Landschaft des Berner Oberlands.
Auf einem weitläufigen Gelände, das sich über 66 Hektar erstreckt, wurden über 100 originale Bauernhäuser, Ställe, Speicher, Mühlen und sogar ganze Dorfeinheiten Stein für Stein an ihren ursprünglichen Standorten abgetragen und in Ballenberg wieder aufgebaut. Ein Besuch in Ballenberg gleicht somit einer ausgedehnten Wanderung durch die verschiedenen Regionen der Schweiz. Informationstafeln liefern den Besuchern Hintergründe zum Ursprung der Häuser und ihren Bewohnern.
Gleich hinter dem westlichen Eingang des Museums steht das sicherlich prachtvollste Gebäude auf dem Gelände, eine Fabrikantenvilla aus dem Jahr 1872.

Hier eine Auswahl der schönsten und beeindruckendsten Häuser auf dem Areal.




In einigen Häusern wurde Geschichte besonders eindrucksvoll lebendig, Mitarbeiter des Museums präsentierten alte Handwerkstechniken. Am wenigsten zu beneiden war heute bei sehr warmen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit der Bäcker, der gerade dabei war, die zweite Ladung Brot aus seinem Ofen zu holen, das beim Abkühlen wunderbar knisterte.
Fast hätte ich die Vorführung einer Maschine zur Herstellung von Seidenbändern verpasst, doch als die Maschine im Innern eines Hauses loslief, war der Lärm, den sie verursachte, draußen nicht zu überhören und zog die Besucher nach drinnen.


In einem der Häuser fertigte eine Hutmacherin mit ihrem Mitarbeiter Kopfbedeckungen für die Besucher, die Kunst des Stickens und Klöppelns wurde an anderer Stelle gezeigt. Wie es genau funktionierte, erklärte die freundliche Dame zwar, da die übrigen Besucher allerdings aus der Schweiz stammten, verständigte man sich für den Austausch auf Schweizerdeutsch, was von mir nur sehr bruchstückhaft zu verstehen war.

Im Friseursalon gab es zwar keine Vorführung, interessant wäre es gewesen zu erfahren, wie man den Apparat für die Dauerwelle einsetzt:

Die Käseherstellung war für heute bereits abgeschlossen, aktuell diente das Feuer ausschließlich dazu, den in einer Kiste darüber liegenden frischen Käse zu räuchern. Natürlich durfte ich auch probieren, war aber nicht vollends überzeugt.
Insgesamt hatten die Menschen in früheren Jahrhunderten offensichtlich deutlich mehr Zeit für ihre Erledigungen, beziehungsweise mussten sie diese einfach mitbringen. Die für ihre Zeit bereits sehr fortschrittliche Säge benötigte zum Beispiel für das einmalige Durchschneiden eines Baumstamms ca. 10 Minuten. Bis der Stamm in einzelne Bretter zerlegt war, verging also schon mal mehr als eine Stunde. Aber immer noch besser und schneller, als die Arbeit mit Muskelkraft zu verrichten.
Im Nachbargebäude sorgte eine mit Wasser angetriebene Knochenstampfe aus dem 19. Jahrhundert dafür, Tierknochen klein zu stampfen, um sie dann als Dünger auf dem Feld auszubringen. Die Menschen mussten sparsam mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen – heute würde man es als nachhaltiges Wirtschaften deklarieren.
Die Seilerei aus Unterägeri ist ein auffälliges Gebäude. Nicht, weil es besonders schön ist, sondern wegen seiner unglaublichen Länge. Dabei ist das 52 Meter lange Gebäude nur der Rest des ursprünglich doppelt so langen Gebäudes, in dem bis ins Jahr 1945 Seile gedreht wurden. Leider gab es heute keine Vorführung, um Einblick in das Handwerk zu bekommen.
Am zentralen Platz des Museums gab es Attraktionen für Klein und Groß. Ein historisches Karussell ließ Kinderherzen höher schlagen, ein Gasthaus aus dem Jahr 1891 sorgte für Leib und Wohl, und im Schatten einer Spielhalle aus dem Jahr 1909, die Anfang des 20. Jahrhunderts ein beliebter Treffpunkt war, konnten sich die Besucher bei einer kleinen Pause erholen. Die Kühe in direkter Nähe taten ihr Bestes, um sich möglichst fotogen in Pose zu setzen.

Lebendig wurde das Museum außerdem durch die verschiedenen Tiere auf dem Gelände wie Hühner- und Gänsefamilien, Hasen, Schweine, Ziegen und Kühe. Unter den Tieren finden sich Rassen, die man heute kaum mehr in der Landwirtschaft antrifft. Bei den warmen Temperaturen suchten die Tiere überwiegend schattige Plätze auf und ließen es ruhig angehen. Die Schweizer Schecken, eine alte Kaninchenrasse, verkroch sich in den Schatten, die Schweine übten sich darin, die Mittagshitze in perfekter Grundordnung zu verschlafen, und nur zwei Exemplare einer anderen Schweinerasse tollten in der Nähe des Sägewerks im kühlen Nass herum.
Vom Ausgang des Museums war es lediglich eine Haltestelle in Richtung Brienz bis zum Holzkuhplatz zu fahren. Woher der Platz seinen Namen hat, versteht man, sobald man vor dem Gebäude steht.
Die Trauffer Holzkuh ist eine in der Schweiz handgefertigte und -bemalte Holzfigur, die seit 1938 von der Familie Trauffer im Berner Oberland hergestellt wird. Jede Kuh ist ein Unikat und ein Symbol für Schweizer Tradition. Mittlerweile sind viele andere Tiere zum Sortiment hinzugekommen, in einer Erlebniswelt am Standort können Besucher mehr über die Herstellung des Holzspielzeugs erfahren.

Der Bus brachte mich nach meinem Besuch zurück nach Brienz und von dort mit der Bahn nach Interlaken Ost – noch einmal Umsteigen und Wilderswil war erreicht. Nach einer deutlich reduzierten Menükarte in den letzten beiden Tagen bot das Hotelrestaurant heute wieder die komplette Karte zum Abendessen an. Ich wurde an den exponiertesten Tisch des Lokals platziert und konnte hier mit Blick auf die Oberdorfstraße und den Bärenplatz das hervorragende Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat (für 44 CHF = 47 EUR) genießen – ein sehr schöner Abschluss für den Tag.

Vor dem ins Bett gehen warf ich einen letzten Blick aus dem Dachfenster in Richtung Eiger, Mönch und Jungfrau – schließlich übernachte ich im Hotel Alpenblick. Morgen geht es wieder näher an die Berggipfel heran.



















