Nach dem täglichen Ritual zum Start in den Tag, einem Frühstück in der Filiale der Bäckerei Paul im Gare de l’Est, machten wir uns auf den Weg zu Notre Dame. Seit der Wiedereröffnung der Kathedrale nach dem verheerenden Brand im Jahr 2019 erstrahlt sie frisch renoviert und schöner als zuvor.
Dementsprechend steht Notre Dame bei vielen Pariser Touristen ganz weit oben auf ihrer Liste. Für einen Eintritt ohne lange Wartezeiten empfiehlt es sich, im Vorfeld (kostenlose) Eintrittskarten zu organisieren: Die Tickets werden nachts pünktlich um Mitternacht für den Besuch in den nächsten drei Tagen freigegeben. Jochen saß also vor drei Tagen bis Mitternacht vor dem Computer, um anschließend mit zehn Minuten Wartezeit drei der begehrten Tickets für heute vormittag zu ergattern. Eine Freundin, ebenfalls Fan von Indochine und zur gleichen Zeit wegen Konzert in Paris wie wir, hatte ebenfalls Interesse an einer Besichtigung bekundet.
Pünktlich um 9:45 Uhr konnten wir die Kathedrale ohne Anstehen zu der reservierten Uhrzeit betreten, während sich Besucher ohne Eintrittskarte in eine andere Warteschlange einsortieren mussten, bei der es jedoch noch relativ zügig voran ging – als wir die Notre Dame eine Stunde später verließen, war diese Schlange deutlich angewachsen mit entsprechend längeren Wartezeiten. Da wir schon um halb zehn vor Ort waren, konnten wir die prachtvolle Westfassade ausgiebig studieren. Als Besucher betritt man die Kirche durch das sogenannte Weltgerichtsportal, dem mittleren von insgesamt drei reich verzierten Portalen.



Über den Portalen befindet sich die Königsgalerie, deren Name sich von den aufgereihten Statuen gekrönter Herrscher ableitet. Im Zuge der französischen Revolution wurden 28 Statuen herunter geworfen und im 19. Jahrhundert durch Nachahmungen ersetzt.
Trotz bereits erfolgter Wiedereröffnung waren die Bauarbeiten insbesondere am Dach noch nicht vollständig abgeschlossen, aber im Innern sah die Kirche aus, als ob ihr Bau gestern erst fertig gestellt worden wäre. Es herrschte dem großen Andrang entsprechend rege, aber gut organisierte Betriebsamkeit, die Besucher wurden in einem großen Bogen durch die Kathedrale geleitet. Nach dem Betreten hatten wir in der Nähe des Taufbeckens einen guten Überblick über die in neuem Glanz strahlende Kirche.
Leider haben wir von unserem letzten Besuch der Kathedrale im Jahr 2007 keine Fotos, um den Zustand der Kirche vor und nach der Renovierung vergleichen zu können – wir erinnern uns lediglich, dass es im Innern im Vergleich zu heute eher düster war. Ungewöhnlich für deutsche Kirchenbesucher ist sicherlich, dass in den Kapellen wertvolle Kunstwerke hängen, unter anderem zwei Teppiche von Henri Matisse, die am Tag des Brandes gedankenschnell von Helfern aus der Kirche gerettet wurden.
Rund um die Chorschranke findet sich ein aufwendiger Bilderzyklus (auch an diesen erinnerten wir uns nicht mehr), der zwischen 1300 und 1350 entstand. Im nördlichen Umgang ist das Leben Jesu von der Kindheit bis zum Tod dargestellt, im südlichen zeigt er neun Szenen mit Erscheinungen des Auferstandenen Jesus.




Beeindruckend sind die Rosettenfenster im südlichen und nördlichen Querhaus aus dem 13. Jahrhundert. Das südliche gehört mit 12,9 Metern zu einem der größten Europas. Christus ist umgeben von Aposteln, Märtyrern sowie den klugen und den törichten Jungfrauen aus der Matthäusgeschichte.



Im Chor sind nach der Wiedereröffnung wieder wertvolle Reliquien zu bestaunen. Die Dornenkrone Christi, ein Fragment des Kreuzesholzes und ein Nagel aus der Passionsgeschichte werden hier aufbewahrt.

Nachdem wir aus der Kathedrale ans Tageslicht getreten waren, bekamen wir von der in einiger Entfernung aufgebauten Sitztribüne einen Eindruck vom Trubel auf dem Vorplatz.


Nach einem nettem Plausch über Indochine und sonstige wichtige aktuelle Themen mit unserer Freundin im Café in der Umgebung warfen wir einen letzten Blick auf Notre Dame von der Brücke über die Seine ins Studentenviertel Quartier Latin aus: dort stand erstmal ein Mittagessen im thailändischen Restaurant Thaiger auf dem Plan.
Nach dem Essen schauten wir nach Sehenswürdigkeiten in der Nähe, querten erneut die Seine und kamen am Centre Pompidou vorbei, dessen Dependance wir erst vor Kurzem in Metz einen Besuch abgestattet hatten. Mit seinen freiliegenden Rohren sieht das Gebäude mehr nach einer Fabrik als nach einem Museum für zeitgenössische Kunst aus. Für die kommenden fünf Jahre wird das Museum für Renovierungsarbeiten geschlossen sein. An einigen Stellen an der Außenfassade kann man sich schon die Frage stellen, ob die Arbeiten dort bereits begonnen haben oder ob sie Teil der Architektur sind.
Gleich nebenan auf der Place Igor Stravinsky steht der gleichnamige Brunnen, entworfen vom Schweizer Bildhauer Jean Tinguely und seiner Ehefrau, der französisch-schweizerischen Künstlerin Niki de Saint Phalle. Unverkennbar bewegen sich die Maschinenkonstruktionen von Tinguely neben den farbenprächtigen Figuren seiner Frau in Form von Vögeln, einer Schlange, einem Elefantenkopf, einem Herz und eine Meerjungfrau-Nana.
Nur wenige Meter entfernt findet sich Les Halles, wo bis Anfang der 1970er Jahre die Hallen des Großhandelsmarkts von Paris standen. Oberirdisch ist davon heute nichts mehr zu sehen, die Einkaufsmöglichkeiten wurden in den Untergrund verlagert. Es entstand ein riesiges unterirdisches Einkaufszentrum, Schwimmbad, Kino und Kulturzentrum sowie unter dem Komplex der Bahnhof Châtelet – Les Halles, der größte unterirdische Bahnhof der Welt, ein zentraler Umsteigepunkt für fünf Metrolinien mit Zugang zu den Nahverkehrszügen der RER.
Nicht ganz zufällig steht hier nur einen Steinwurf entfernt die bedeutendste Pariser Kirche des 16. Jahrhunderts Saint-Eustache, gebaut für die Händler der Pariser Markthallen.

Saint-Eustache ist berühmt für ihre große Orgel – sogar die größte Frankreichs – aus dem Jahr 1989, die in das Gehäuse aus dem Jahr 1854 eingebaut wurde. Heute musste sie jedoch stumm bleiben, eine Teilnehmerin des am Wochenende stattfindenden Festival 36h probte ihre Songs für den Auftritt am Abend. So kamen wir in den Genuss der beeindruckenden Akustik – der für die Atmosphäre des Konzerts produzierte Nebel machte die einfallenden nachmittäglichen Sonnenstrahlen wunderschön sichtbar und sorgte so für eine fantastische Atmosphäre.

Wie so oft lohnte ein Blick nach oben in das 33,5 m hohe Gewölbe der Kirche und in die mit wertvollen Kunstwerken ausgestattete Seitenkapellen. Hier finden sich beeindruckende Kunstwerke vom Grabmal Jean-Baptiste Colberts, des erfolgreichen Finanzministers unter dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. aus dem 17. Jahrhundert, bis zu einem Werk von Keith Haring mit dem Titel “Life of Christ” (1990).




Anschließend brachen wir Richtung Bercy auf: Unser Indochine-Konzert lag zwar bereits zwei Tage zurück, andere Mitglieder des deutschen Indo-Forums hatten jedoch Karten für den heutigen Abend ergattert und so nutzten wir die Gelegenheit, Gleichgesinnte noch vor dem Konzert in einem Café in der Nähe der Halle zu treffen und einen schöne Zeit zusammen zu verbringen.

Nachdem sich alle Konzertbesucher auf den Weg zur Accor Arena gemacht hatten, fuhren wir beide ein letztes Mal zum Gare de l’Est, es war Zeit für unser Abendessen. Abseits der Touristenströme hatten wir dafür die Brasserie Le Petit Saint Martin gewählt.
Während der Wartezeit auf unser Essen staunten wir über eine einzelne Frau, offensichtlich Französin, am Nachbartisch, zu der nach und nach vier bis fünf Kinder kamen, die mit Pommes und Cola versorgt wurden. Wir zogen über die schlechten Essgewohnheiten her und waren peinlich berührt, als die Frau uns in fast perfektem Deutsch ansprach. Sie erzählte uns, dass sie während ihres Studiums in Ulm mehrere Jahre in Deutschland lebte, bevor sie wieder zurück nach Frankreich zog. Sie wohnt momentan ganz in der Nähe der Brasserie und die Kinder, die abwechselnd zu ihrem Tisch kamen, waren ihre eigenen, aber auch Freunde der Kinder, die sich jeden Abend zum Spielen treffen. Die große Nachfrage nach Wohnraum in Paris, an dem sicher unter anderem auch der Tourismus schuld ist, führt dazu, dass die Mieten gerade für Familien nahezu unerschwinglich sind. Nach dem sehr netten Plausch schworen wir uns, beim nächsten Mal etwas vorsichtiger mit unseren Lästereien zu sein.
Sie empfahl uns bei der Verabschiedung die Eisdiele Amorino in der Nähe des Canal Saint-Martin, die nicht nur hervorragendes Eis im Angebot hat, sondern dies auch noch kunstvoll arrangiert. Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen.
Am nächsten Morgen nach Frühstück in der Bäckerei Paul am Gare de l’Est brachte uns der Zug in Höchstgeschwindigkeit wieder zurück nach Saarbrücken. Wie immer war es sehr schön in Paris, wir haben Neues entdeckt, altbekanntes wiederentdeckt, aber die Stadt hat noch so viel zu bieten, dass wir wiederkommen müssen. Merci Paris ♥.



















